Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 11. -14.) 35
gefunden sowohl mit den Ministern, wie mit Sr. Majestät dem Kaiser, den
Abgeordneten, die zu mir kamen — es war namentlich der Herr Abgeord-
nete Miquel, der die Verhandlungen mit mir geführt hat. Wir haben 7
Jahre vorgeschlagen, wir hätten ebenso gut 10 oder 11 Jahre vorschlagen
können oder, wie die Dienstpflicht im Heere es mit sich bringt, 12 Jahre.
Ich hatte mich zu entschließen; ich war der einzige, dem im leidenden Zu-
stande die Verantwortlichkeit dafür oblag, ob damals auf eine solche Frage
hin aufgelöst werden sollte oder nicht, und im Interesse des Friedens bin
ich auf die 7 Jahre, wie sie mir gebracht waren, eingegangen; aber doch
nicht in der Absicht, diese Konzession immer wieder als die Basis zu einer
neuen Forderung gelten zu lassen. Dann können wir nicht wieder zu Kom-
promissen kommen. Im Interesse der Kompromisse halte ich an den 7 Jahren
unbedingt fest. Wir haben sie, zwei siebenjährige Perioden, gehabt, wir sind
bereit, diese siebenjährige Periode weiter zu geben, aber auf eine kürzere nicht
einzugehen, wie ich das schon gesagt habe. Der Herr Vorredner ist seiner
Sache mit den künftigen Majoritäten sicherer, als ich glaube, daß er sein
könnte. Die Verhältnisse sind weder bei uns, noch in England, noch in
Frankreich so, daß bei der Zerfahrenheit der Parteien irgend jemand auf
eine feste und klare Majorität in der Zukunft rechnen könnte. Hätten wir
bei uns zwei große Parteien, wie es früher in England Whigs und Tories
waren, und zwei Parteien, deren jede doch immer den Fall im Auge hatte,
wenn sie in der Opposition lebte, daß sie auch mal wieder regieren könnte,
— die waren vollkommen vertrauenswürdig eine für die andere. Mit un-
seren, ich weiß nicht, 9 oder 10 Parteien, aus denen sich das Konsortium
der Majorität künstlich aufbaut, ist gar kein Bund und Rechnung auf die
Zukunft möglich. Die lange Dauer des Kulturkampfes hat im Zentrum
zufällig Elemente von heterogener politischer Richtung lange Zeit vereinigt.
Sind Sie gewiß, daß auch nur das Zentrum fortdauern wird, wenn der
Kulturkampf vollständig beseitigt ist: Der Herr Abgeordnete Dr. Windt-
horst ist vielleicht der Meinung, daß man, um das Band der Partei, an
deren Spitze er steht, zu erhalten, auch etwas Kulturkampf im Feuer be-
halten muß. (Zuruf des Abgeordneten Dr. Windthorst: Nein! Nein!) Er
hat uns auch schon den Kampf wegen der Schule angekündigt, der an Heftig-
keit und Bedeutung den bisherigen weit hinter sich lassen würde. Nun,
dieses Band, was Sie bisher vereinigt hat, — sind Sie darüber ganz zweifel-
los, daß das halten wird? Der Herr Abgeordnete ist bei den Neuwahlen
der Wiederwahl aller bisherigen Fraktionsgenossen sehr sicher. Ich möchte
nur auf eine der wichtigsten Provinzen seines Reiches in der Wahl ver-
weisen: das ist auf Bayern. Der bayerische Wähler ist in seiner großen
Mehrheit monarchisch und katholisch gesinnt. So lange er die Überzeugung
hat, daß sein König und dessen Rechte und die Rechte des bayerischen Staates
überhaupt bedroht sein könnten; sobald er die Uberzeugung hat, daß die
katholische Kirche bedroht sei, und daß dieselbe Empfindung in Rom geteilt
wird, — so lange mag er für Sie wählen. Wenn er aber zweifelhaft da-
rüber werden sollte, ob die Dynastie, ob der König, ob der römische Stuhl
ferner diese Opposition billigt, — ich weiß nicht, ob darüber Zweifel sein
können, — aber wenn sie entstehen, sind Sie dann Ihrer Wähler ebenso
sicher, wie Sie es waren: — Ich wundere mich, von dem Herrn Abgeord-
neten Dr. Windthorst das sonst so bereite Ja nicht zu hören. Ähnliche
Irrungen in der Berechnung können doch auch noch anderswo vorliegen.
Wir können die Wahl ja nicht voraussehen. Auf die Haltung der Regie-
rungen können die Wahlen ja keinen Einfluß haben; die Regierungen haben
ihre Überzeugung festgelegt nicht nach dem Wunsche des Reichstags oder nach
dem Ausfall der Wahlen, sondern ausschließlich nach ihrem Pflichtgefühl,
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