Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dritter Jahrgang. 1887. (28)

456 Hie Tũrkei. (Juli 13.) 
völkerung sich in den Gebirgen zusammenzurotten, die türkische in 
die Städte zu flüchten beginnt, wird der Vizepräsident des Staats- 
rates Mahmud Dschellal-eddin Pascha in besonderer Ver- 
söhnungsmission nach Kreta entsandt. 
Die christlichen Abgeordneten in Konstantinopel erlassen an 
ihre Glaubensgenossen einen Aufruf, sich jeder Handlung gegen Leben 
oder Vermögen der Mahomedaner zu enthalten und die Ruhe nicht 
zu stören. Hierauf erklärt das christliche Komitee in Kanea, die 
früheren mit ernsten Zusammenstößen drohenden Maßregeln zurück- 
genommen zu haben und die Lösung der schwebenden Fragen allein 
der Huld des Sultans anvertrauen zu wollen. 
Nachdem sodann zwischen der Abordnung und der Pforte eine 
Einigung erzielt ist, macht Mahmud Dschellal-eddin in einer Pro- 
klamation die Zugeständnisse des Sultans bekannt. Dieselben find 
im Wesentlichen die folgenden: 
Die Hälfte der jährlichen Zolleinnahmen von Kreta wird dem Budget 
der Insel zufließen. Die Kontrolle der Zollverwaltung wird durch die Ver- 
waltung der Insel ausgeübt werden. Das Defizit ungünstiger Jahre soll 
durch die eventuellen Ueberschüsse der günstigen Jahre kompensiert werden, 
und zwar wird jeder Jahresüberschuß zwischen dem Staatsschatze und dem 
Gouvernement der Insel geteilt werden. Die Sanktionierung oder Ver- 
werfung der von der kretensischen National-Versammlung beschlossenen Gesetze 
muß in Zukunft innerhalb dreier Monate erfolgen. Die Zahl der chefe 
lichen Beamten wird in allen Zweigen der Verwaltung vermehrt werden, 
wobei jedoch keineswegs das Prinzip der Verteilung der öffentlichen Funktio- 
nen im Verhältnisse der numerischen Stärke der beiden Elemente der Bevöl- 
kerung maßgebend sein wird. 
Hierauf beschließen die christlichen Deputierten, wieder an den 
Sitzungen der Nationalverfammlung teilzunehmen, Überreichen aber 
zugleich dem Kommissar des Sultans ein Memorandum, in welchem 
sie ihr Bedauern aussprechen, daß nicht alle ihre Forderungen ge- 
währt worden seien. 
13. Juli. (Bulgarische Fürstenwahl.) Die Pforte erläßt 
ein Rundschreiben an ihre Vertreter bei den Signatarmächten des 
Berliner Vertrages, welches folgenden Inhalt hat. 
In der Einleitung der Depesche teilt der Minster des Aeußern mit, 
Laß die provisorische bulgarische Regierung der Hohen Pforte angezeigt habe, 
daß die National-Versammlung von Tirnowa den Prinzen Ferdinand von 
Koburg zum Fürsten von Bulgarien gewählt hat. Die Wahl eines Fürsten 
von Bulgarien bedarf zu ihrer Giltigkeit der Zustimmung der Signatar- 
mächte des Berliner Vertrages. Die ottomanische Regierung wünscht daher 
vor allem die Ansichten und Meinungen dieser Mächte über die erfolgte 
Fürstenwahl kennen zu lernen, und beauftragt somit ihre Vertreter, die Ka- 
inette, bei denen sie beglaubigt sind, darüber zu sondieren und die ihnen
	        
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