Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dritter Jahrgang. 1887. (28)

478 Jessrien. (Januar 19.) 
28. November. Justizminister Stoilow giebt seine Ent- 
lassung, nachdem die von ihm veranlaßten Ernennungen zu Staats- 
anwälten in der offiziösen „Swoboda“ scharf kritisiert und er ebenso 
in der Sobranje nicht ohne Billigung des Ministerpräsidenten Stam- 
bulow heftig angegriffen worden. Dieser äußert in der Kammer, 
er selbst habe kein Zutrauen in die Gerichte. Der Fürst und der 
Ministerrat lehnen das Entlassungsgesuch ab. 
18. Dezember. Die Sobranje bewilligt das Einnahme- 
budget und genehmigt die mit den Vertretern der Bondholders 
in Konstantinopel geschlossene Ubereinkunft zur Zahlung des jähr- 
lichen Tributs von Ostrumelien in Höhe von 130,000 K., 
sowie eine Eisebahnanleihe von 50 Millionen für die Strecken 
Rustschuk-Varna und Zaribrod-Vakarel. 
Bei der Budgetberatung hatte der ehemalige Präfekt von Rustschuk 
Mantow versucht, einen Schlag gegen das Ministerium zu führen, um sich 
selbst mit Radoslawow ans Ruder zu bringen, indem er einen großen Teil 
der bisher ministeriellen Abgeordneten für die Verweigerung des Budgets zu 
gewinnen verstanden hatte. Stambulow versammelte hierauf die Depu- 
tierten in privater Weise und hielt eine bedeutende Rede, in der er die Sucht 
Mantows und anderer Ränke gegen das Ministerium zu spinnen, um aus 
egoistischem Streben im trüben zu fischen, scharf geißelte, die Gefahr, welche 
in der Spaltung der nationalen Einheit liege, darstellte und dann fortfuhr: 
„Warum das alles? Weil wir aus Rücksficht auf die Mächte ihn als Prä- 
fekten von Rustschuk absetzen mußten und weil wir aus eben diesen Rück- 
sichten abgeraten haben, ihn zum Vizepräsidenten der Kammer zu ernennen. 
Sie, die Abgeordneten von Rustschuk, wissen am besten, ob Mantow als 
Präfekt von Rustschuk despotisch regiert hat oder nicht. Ich mache ihm 
daraus keinen Vorwurf, aber gerade sein Beispiel zeigt, daß man, um eine 
politische Krisis zu überwinden, Rücksichtslosigkeit und Strenge aufwenden 
muß. Unsere Krisis ist aber durchaus noch nicht beendet. Die Feinde der 
gegenwärtigen Regierung und die Verräter fahren fort, Verschwörungen an- 
zuzetteln und Beunruhigung ins Land zu tragen. Wir müssen streng sein, 
unerbittlich, vor allem aber einig. Wollen Sie in dieser Ausnahmslage die 
Negierung schwächen, um kleinlichen Ränken und persönlichem Ehrgeiz zu 
ienen?“ 
Die Rede macht ungewöhnlichen Eindruck, stimmt die Abgeordneten 
um und Mantow selbst soll hierauf Stambulow das Einstellen seiner Agi- 
tation versprochen haben. 
  
  
3. Aegypten. 
19. Januar. (England und Frankreich.) Der „Pariser 
Temps“ enthält folgende halbamtliche Mitteilung: 
Die „Times" erhielt von Alexandrien eine gegen die franzöfischen 
Interessen gerichtete Depesche; es wird darin zunächst gesagt, daß das Dekret 
wegen der in Aegypten von aller Welt verlangten Abschaffung des Fron- 
dienstes am 14. Juli Frankreich unterbreitet worden sei; die französische 
Regierung habe jedoch diese Maßregel zwar nicht grundsätzlich verworfen,
	        
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