Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 14.) 5
Wilhelm I. regiert hat. — Ein derartiges Zeugnis wirft ein scharfes Schlag-
licht auf die Frivolität des Bestrebens der freisinnigen Presse, den Hochseli-
gen Kaiser noch im Grabe zu einem Gesinnungsgenossen zu stempeln.
Das Handschreiben lautet:
„Charlottenburg, 25. März 1888.
Ich gedenke mit Ihnen, mein lieber Fürst, der heute abgelaufenen
50 Jahre, welche verstrichen sind, seitdem Sie in das Heer eintraten, und
freue Mich aufrichtig, daß der Garde-Jäger von damals mit soviel Zufrie-
denheit auf dieses abgelaufene halbe Jahrhundert zurückblicken kann. Ich
will Mich heute nicht in lange Auseinandersetzungen über die staatsmänni-
schen Verdienste einlassen, welche Ihren Namen für immer mit unserer Ge-
schichte verflochten haben. Aber das Eine muß Ich hervorheben: daß, wo
es galt, das Wohl des Heeres, seine Wehrkraft, seine Schlagfertigkeit zu
vervollkommnen, Sie nimmer fehlten, um den Kampf aufzunehmen und durch-
zuführen. Somit dankt Ihnen das Heer für erlangte Segnungen, die es
Ihnen niemals vergessen wird, und an der Spitze desselben der Kriegsherr,
der erst vor wenigen Tagen berufen ist, diese Stellung nach dem Heim-
gang Dessen einzunehmen, der unausgesetzt das Wohl der Armee auf dem
Herzen trug.
Ihr wohlgeneigter
gez. Friedrich.“
14. Januar. (Reichstags-Ersatzwahl.) Bei der Reichs-
tags-Ersatzwahl in Breslau für den verstorbenen Abg. Kräcker wer-
den abgegeben für den Schneidermeister Kühn (Soz.) 7799, für den
Stadtrichter Friedländer (dfreis.) 5533, für den Kaufmann Tschocke
(Kartellparteien) 4585 Stimmen, für den Stellmacher Kühn (soziale
Reform Zünftler] und Zentr.) 1481 St. Sonach findet zwischen
Schneidermeister Kühn und Stadtrichter Friedländer eine Stichwahl
statt. Dieselbe erfolgt am 26. Januar. Bei derselben siegt der
sozialistische Kandidat Kühn mit 9948 Stimmen über den freisinni-
gen Kandidaten Friedländer, welcher 8237 Stimmen erhält.
14. Januar. (Thronrede.) König Wilhelm eröffnet den
Landtag mit folgender Thronrede:
Erlauchte, edle und geehrte Herren von beiden Häusern
des Landtags!
Nachdem bereits bei Meinem Regierungsantritt der Landtag der Mo-
narchie um Meinen Thron versammelt gewesen ist, begrüße Ich Sie heute
bei dem Beginn einer neuen Legislaturperiode. Sie können Ihre Arbeiten
um so freudiger aufnehmen, als die Beziehungen des Reichs zu allen aus-
wärtigen Staaten freundliche sind und Ich bei Meinen Besuchen befreundeter
Herrscher die Überzeugung gewonnen habe, daß wir uns der Hoffnung auf
fernere Erhaltung des Friedens mit Vertrauen hingeben dürfen.
Die Segnungen des Friedens zeigen sich in erfreulicher Weise in der
Hebung der wirtschaftlichen Lage der Industrie und der arbeitenden Klassen,
wie solche insbesondere in der stetigen erheblichen Zunahme der Sparkassen-
Einlagen zutage tritt, welche sich im Laufe des letzten Jahrzehnts mehr als
verdoppelt haben, indem sie auf etwa 2700 Millionen gestiegen sind, um
mehr als 200 Millionen allein im letzten Jahre.