150 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 12.)
das Werk einer religiösen Reform ausgegangen. Das Haus, welches hier
geschaffen worden, sei ein weiterer Schritt zur Besserung des Volkes und
zur Hebung von Moral und Sitte. Er gratuliere dem Bürgermeister auch
zu diesem Werke.
Am 9. Dezember Besuch Frankfurts a.M. Am Abend großes
Festessen im Palmengarten, wo der Oberbürgermeister Miquel den
Toast auf den Kaiser ausbringt. Dieser erwidert darauf:
„Mein verehrter Oberbürgermeister! Ich danke Ihnen aus tiefstem
Herzen für die freundlichen Worte, welche Sie Mir eben im Namen Ihrer
gesamten Stadt ausgesprochen haben. Es erfüllt Mich eine gewisse feierliche
Stimmung, wenn Ich bedenke, an welchem Platze Ich heute stehe. Wie
Sie erwähnten, sprach dereinst Mein hochseliger Herr Großvater hohe Worte
der Huld zu Ihnen von dieser Stelle. Nicht in gleichem Maße kann Ich
Mich der Redegewandtheit rühmen, und Mir steht auch nicht die Erfahrung
und das Alter zur Seite, wie damals dem gewaltigen, ruhmgekrönten Helden.
Die Liebe und Begeisterung, die Mir hier entgegengeschlagen ist, hier und
an manchen anderen Orten Deutschlands, sie ist Mir entgegen getragen
worden nicht nur als dem Träger der erneuten deutschen Kaiserkrone, son-
dern auch als dem Enkel des Kaisers Wilhelm und dem Sohne des Kaisers
Friedrich, und Ich werde Mir erst durch ein langes Leben zu verdienen
haben, was Mir aus treuen Herzen jetzt dargebracht wird. Ich kann Sie
aber versichern, daß Mir nichts wohlthuender ist, als dergleichen Worte zu
hören, wie Ich sie eben vernommen habe. Mein ganzes Streben und Meine
ganze Arbeit ist darauf gerichtet, Mein Vaterland groß, mächtig und ge-
achtet zu sehen. Von diesem Vorsatze beseelt bestieg Jch den Thron. In
diesem Gedanken lebe Ich, und wenn Mir auch das Werk zuweilen schwer
zu sein scheint, und Ich manchmal Mich mit dem Gedanken trage, ob Ich
der Aufgabe gewachsen bin, so ist es für Mich immer eine erneute Stärkung,
eine neue Auffrischung zu weiterer Thätigkeit und Arbeit, wenn Worte des
Vertrauens und der Hingebung, wie Sie an Mich gerichtet haben, Mir
entgegengebracht werden. Ich habe Mich heute davon überzeugt, welche
Früchte die Jahre gezeitigt haben, während deren es Meinen Vorgängern
gelungen, den Frieden zu erhalten, und so Gott will, werden auch Meine
hierauf gerichteten Bestrebungen von gleichem Erfolge gekrönt werden, und
Ich freue Mich zu sehen, welch einen mächtigen und gewaltigen Aufschwung
dieses Gemeinwesen genommen hat — ein Beispiel für manche andere deutsche
Stadt. Sehr wohl aber weiß Ich, wem die Stadt dieses Emporblühen zu
danken hat, und Ich glaube darin nicht fehl zu gehen, wenn Ich es als
die Ueberzeugung sämtlicher versammelter Frankfurter ausspreche, daß nächst
Meinen Vorfahren Ihnen die Stadt Frankfurt das Meiste zu verdanken
hat. Ich erhebe Mein Glas und fordere Sie auf, mit Mir auf das Wohl
der Stadt Frankfurt und ihres jetzigen Hauptes zu trinken. Herr Ober-
bürgermeister Miquel und die Stadt Frankfurt sie leben hoch!“
12. Dezember. Ein seit lange betriebenes Projekt, die Häuser
auf der Schloßfreiheit in Berlin niederzulegen und die Mittel
dazu durch eine große Lotterie aufzubringen, wird mit 70 gegen
28 Stimmen in der Stadtverordnetenversammlung angenommen.
Die Stadt empfängt demnach nur den Platz als Geschenk; das Ge-
schäft betreibt ein Privat-Komitee. Die Lotterie besteht aus 200,000 Losen
zu 200 M Der Preis für die betreffenden Häuser beträgt 4,9 Mill. Mark.
Ein Teil der Presse hat sich sehr heftig gegen das Projekt ausgesprochen wegen