Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfter Jahrgang. 1889. (30)

182 Jiec Gesterreichisc= Angarische Monarchie. (Dezember 12.—15.) 
Prager Erzbischof, Kardinal Schönborn, erläßt einen Hirtenbrief 
gegen den Hußkultus, in welchem es heißt, 
der von der Kirche als Ketzer verurteilte unglückliche Magister 
Johannes Huß werde jetzt als Märtyrer seiner Ueberzeugung und als der 
größte Wohlthäter der Heimat und des Volkes gerühmt, damit das Volk 
ihn feiere. Wenn aber die heiligsten Grundlagen des reinen Glaubens 
untergraben werden, dürfe der Oberhirt nicht schweigen. Huß könne nicht 
zu den Wohlthätern des Landes gezählt werden; sein Andenken erfülle mit 
Schmerz und Bitterkeit, und die Erneuerung dieses Andenkens bedeute Un- 
glück und Verderben. „Mit bitterem Schmerz“, fährt der Hirtenbrief fort, 
„muß es mein Herz erfüllen, wenn ich höre, wie einige Leute sich bemühen, 
das Unglück verkündende Andenken dieses Mannes zu beleben, Unfrieden 
und Haß in meine Heerde zu säen, und nun den Aufruhr gegen die Hoheit 
Gottes zu entzünden. Darum bitte und beschwöre ich Euch: „Vergeßt nicht, 
daß Ihr verpflichtet seid, Euch nicht von den Bestrebungen einiger Ver- 
blendeten beirren zu lassen. Enthaltet Euch von allen Vorbereitungen, 
welche auf die Feier des genannten Mannes abzielen, sowohl von allen 
diesbezüglichen Versammlungen, als auch von Sammlungen; an diesen darf 
kein Sohn und keine Tochter der Kirche teilnehmen.“ Schließlich werden 
die Gläubigen gebeten, für die Irrenden und Verblendeten zu beten. 
12. Dezember. (Oesterreich. Abgeordnetenhaus: Die 
Deutschliberalen über Böhmen.) 
In der Generaldebatte über das Budget führt der deutschliberale 
Abg. Plener aus, von dem Schicksale der Deutschen in Böhmen hänge das 
Schicksal der übrigen Deutschen Oesterreichs ab. Die Regierung habe den 
Deutsch-Böhmen in Böhmen kein Entgegenkommen gezeigt; die Verfassung 
sei bedroht. Redner drängt auf Beantwortung der Interpellation über die 
Vorgänge in Böhmen. Der Tschechenführer Rieger erklärt, die Böhmen 
ständen auf dem Boden der Verfassung, die Deutschen brauchten von der 
Regierung nichts zu fürchten, da der Ministerpräsident Graf Taaffe für das 
böhmische Staatsrecht noch nichts gethan habe. 
Mitte Dezember. (Oesterreich: Tschechische Schulen.) 
Der Bezirksausschuß des Wiener Bezirkes Favoriten, wo die meisten 
Tschechen wohnen, entscheidet eine von den Tschechen Wiens an sie 
gerichtete Eingabe grundsätzlich dahin, daß in Wien kein Bedürfnis 
für tschechische Schulen vorhanden sei. 
15. Dezember. (Böhmen: Deutsche Politik.) In Prag 
findet eine Versammlung der Vertrauensmänner der Deutschen 
Böhmens statt, die sehr zahlreich besucht ist. 
Die Vertrauensmänner fassen auf Grund eines von Plener erstatteten 
Referats über die politische Lage eine Resolution, welche Verwahrung ein- 
legt gegen ein böhmisches Staatsrecht und gegen die deutschfeindlichen, ver- 
fassungswidrigen Aktionen und Beschlüsse des letzten böhmischen Landtages; 
ein Beschluß über die weitere Enthaltung der Abgeordneten vom Landtage 
wird dem Klub der deutschen Landtagsabgeordneten überlassen. Sodann 
wird ein von Schmeykal vorgelegter Wahlaufruf genehmigt und unter be- 
geistertem Beifall durch Erheben von den Sitzen den Wortführern der Oppo- 
sition, Dr. Plener und Dr. Nuß, für ihre jüngst gehaltenen patriotischen 
Reden gegen das Ministerium gedankt. Die Versammlung genehmigt endlich
	        
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