Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfter Jahrgang. 1889. (30)

Die Oeserreithisch·Angarische Menarthie. (Dezember 17.—18.) 183 
die Wiederaufstellung sämtlicher Abgeordneten, ohne Ausnahme, als Kandi- 
daten und die Einberufung eines Parteitages zum 26. Januar nach Teplitz. 
17. Dezember. (Oesterreich: Abgeordnetenhaus.) Mini- 
sterpräsident Graf Taaffe beantwortet die Interpellation Plener, 
betreffend die Stellungnahme der Regierung zu den in den Be- 
schlüssen des böhmischen Landtags vom 9. November enthaltenen 
staatsrechtlichen Ansprüchen und erklärt: 
Wenn Verfassungsänderungen auf gesetzlichem Wege, falls fie durch 
das Staatswohl geboten seien, verfassungsmäßig nicht ausgeschlossen seien, 
so müsse die Regierung dennoch offen erklären, daß das Staatsinteresse gegen- 
wärtig vor allem eine auf Grundlage der geltenden Verfassung fortschreitende, 
ruhige Entwicklung erheische und daher der gegenwärtige Zeitpunkt zur Be- 
handlung von Versaffung-feagen ungeeignet sei. Somit beabsichtige die Re- 
gierung nicht, Sr. Majestät prinzipielle Aenderungen der Verfassung und 
die damit in Zusammenhang gebrachte Königskrönung vorzuschlagen. Er 
(der Minister) könne nicht umhin, mit Befriedigung darauf hinzuweisen, 
daß auch der böhmische Landtag in der seinem Beschlusse vom 9. November 
vorausgeschickten Erwägung in richtiger patriotischer Einsicht in die allge- 
meine politische Lage dieselbe Ueberzeugung ausgedrückt habe. Die Regie- 
rung habe es nie für zulässig erachtet und halte es auch gegenwärtig nicht 
für zulässig, sich den mit dem allgemeinen Staatsinteresse und den Grund- 
gesetzen des Staates vereinbarlichen Ansprüchen irgend eines Volksstammes 
in irgend einem Lande gegenüber ablehnend zu verhalten. Dies gelte auch 
bezüglich der berechtigten Ansprüche der Deutschen in Böhmen. Daß diesen 
berechtigten Ansprüchen ganz gleichmäßig, wie den berechtigten Ansprüchen 
der Böhmen Rechnung getragen werde, sei der Gegenstand fortwährender 
Fürsorge der Regierung. (Bravol rechts.) Sofern es sich um die Geltend- 
machung der Ansprüche der Deutschen im böhmischen Landtag handle, so sei 
durch das neuerliche Wahlausschreiben allen Kreisen der Bevölkerung hierzu 
neuerdings Gelegenheit geboten. (Beifall rechts. Unruhe links). Der Ab- 
geordnete von Plener beantragt, über die Beantwortung seiner Interpellation 
die Debatte zu eröffnen; der Antrag wird aber mit 143 gegen 114 Stim- 
men abgelehnt. Das Haus geht darauf zur Tagesordnung über. 
2. Hälfte Dezember. In Oesterreich wird der Gedanke einer 
neuen Partei, „Katholisches Zentrum“, von Mitgliedern der 
deutschkonservativen Abgeordneten angeregt. 
18. Dezember. (Oesterreich: Die Interpellation Ple- 
ners.) In der Sitzung des Klubs der vereinigten deutschen Linken 
in Wien erfolgt eine Besprechung der Beantwortung der Inter- 
pellation des Abgeordneten Plener durch den Ministerpräfidenten 
Grafen Taaffe, in welcher die Meinung zum Ausdrucke kommt, 
daß durch die Erklärung der Regierung, daß sie nicht die Absicht 
habe, Aenderungen der Verfassung und die damit in Zusammenhang ge- 
brachte Königskrönung des Kaisers in Antrag zu bringen, die Gefahr be- 
drohlicher staatsrechtlicher Experimente vorläufig beseitigt ist; die Aeußerung 
über die Forderungen der Deutschen in Böhmen wurde übereinstimmend als 
ganz unbefriedigend bezeichnet. Angesichts der bekannten präzisen Forde- 
rungen der Deutschen in Böhmen gehe es nicht an, die inhaltslose Formel 
zu wiederholen, daß die Regierung sich gegenüber den berechtigten Ansprüchen
	        
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