Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfter Jahrgang. 1889. (30)

Eroßbritannien. (November 14.—Dezember Anf.) 205 
Redner, daß die Politik Englands hinsichtlich Europas und des Mittel- 
meeres der ganzen Welt bekannt sei. Sie sei die Politik des Friedens und 
der Aufrechterhaltung der bestehenden Dinge. Keine Aenderung wäre ver- 
derblicher als eine Gebietsvermehrung irgend einer Großmacht, wodurch eine 
Katastrophe sicherlich schnell herbeigeführt würde. Eine Tollheit, ja unmög- 
lich wäre es, England an irgend welche spezifische Schritte für die Zukunf 
zu binden. In diesem Jahre hätten in mehr als einem Lande Ereigniss 
stattgefunden, welche in der Richtung des Friedens lägen. Die aufrichtigen 
Bestrebungen der europäischen Herrscher zu Gunsten des Friedens hätten 
erhöhte Kraft gewonnen. Der politische Barometer steige deutlich in der 
Richtung des Friedens. Von den europäischen Staatsmännern, die am besten 
zu urteilen befähigt seien, würden die Friedensaussichten zur Zeit für größer 
als zuvor gehalten. 
Die Rede wird in England allgemein mit Zustimmung be- 
grüßt. Wie man in den der deutschen Regierung nahestehenden 
Kreisen die Rede beurteilt, zeigt ein offiziöses Telegramm der 
„Hamb. Nachr.“ aus Berlin, welches ausführt, 
· daß nach den Aeußerungen Salisburys die englische Politik im Gegen— 
satz zu anderweitigen Erwartungen entschlossen scheine, das System des neu- 
tralen Zuwartens beizubehalten. Angesichts des steten Vorrückens des rus- 
sischen Einflusses in Zentralasien und angesichts der unleugbaren Thatsache, 
daß die russische Politik auch auf dem Balkan mehr als je die Oberhand 
zu gewinnen scheine, sei diese Haltung eine schwer verständliche. England 
befindet sich in einem Zustand der politischen Nervosität, und aus dieser 
seien die Bemerkungen zu erklären, mit denen Salisbury es ablehnt, Eng- 
land auf die Politik der Tripelallianz zu verpflichten Es sei dies übrigens 
ziemlich überflüssig gewesen, denn niemand habe daran gedacht, England zum 
Eintritt in die Tripelallianz aufzufordern. England sei schon aus Gründen 
seines wechselnden Regierungssystems bündnisunfähig. 
14. November. (Fusion der Konservativen und Unio- 
nisten.) Bei einem Banket der Konservativen zu Bristol hält der 
Präsident des Handelsministeriums, Hicks-Beach, eine Ansprache, 
in welcher er der Hoffnung Ausdruck gibt, die Fusion der Konser- 
vativen und Unionisten vor den Wahlen unter dem Namen der Unienisti- 
schen Partei sich vollziehen zu sehen. Im Kabinet befinde sich kein Mit- 
glied, welches nicht bereit wäre, jedes Opfer zu bringen, um die Regierung 
durch den Eintritt unionistischer Führer in das Kabinet zu stärken. 
26. November. (Salisbury) hält in Nottingham eine 
Rede, in der er sich gegen die sofortige Gründung einer National- 
partei, gegen den achtstündigen Normalarbeitstag, gegen die gesetz- 
liche Lohnregelung, sowie gegen die unentgeltliche Erziehung wendet. 
Anf. Dezember. (Liberales Reformprogramm.) Die 
Liberalen halten in Manchester einen Parteitag ab, auf dem sie 
folgendes Reformprogramm aufdstellen: 
Allgemeines Wahlrecht; Abkürzung der Parlamentsperioden von sieben 
auf drei Jahre und Bezahlung der Parlamentsmitglieder; Erleichterung des 
Grundverkehrs, entsprechende Besteuerung der Grundrenten und bessere Siche- 
rung der Grundpächter gegenüber den Landlords; Erteilung des Enteignungs- 
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