Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfter Jahrgang. 1889. (30)

210 Krankreich. (Februar 14.) 
tagung aus und erklärt, die Regierung denke durchaus nicht an 
eine Auflösung. Bie Vertagung wird darauf mit 375 gegen 173 
Stimmen verworfen. 
Nach Ablehnung des Antrags der Rechten auf Vertagung 
wird von Douville-Maillefeu erneut ein Antrag auf Vertagung 
gestellt. Derselbe hebt bei der Begründung hervor, daß mit dem 
heutigen Tage eine neue Wahldperiode eröffnet sei. „Ueberlassen 
wir es dem Volke, anzuzeigen, welche Art der Revifion es will, 
und verlieren wir keine Zeit damit, über eine, in keiner Weise fest 
bestimmte Frage zu verhandeln. Treiben wir keine Politik der 
Eigenliebe, sondern eine Politik des gesunden Menschenverstandes." 
Von der Kammer wird darauf die Vertagung der Beratung der 
Revisionsvorlage mit 307 gegen 218 Stimmen beschlossen. Die 
Majorität wird gebildet von Monarchisten und Boulangisten, denen 
die vorgeschlagene Revision nicht genügt, und den Opportunisten, 
die gegen eine Revision sind. Floquet kündigt infolgedessen an, 
daß er seine Entlassung einreichen werde. Die Regierung habe 
ihre Pflicht erfüllen wollen, indem sie betreffs der Verfassungs- 
revision die Kabinetsfrage stellte, das Votum der Kammer habe es 
ihr aber unmöglich gemacht, diese Pflicht zu erfüllen, sie werde 
deshalb ihre Demission geben. Die Sitzung wird aufgehoben und 
die Kammer vertagt sich auf mehrere Tage. 
Boulanger richtet noch am selben Abend ein Manifest an 
die Wähler des Seinedepartements, in welchem es heißt, 
die Auflösung der ohnmächtigen Kammer und die Revision der Ver- 
fassung von 1875 durch eine konstituierende Versammlung habe angesichts 
der unwiderstehlichen Macht der öffentlichen Meinung stets zum Programme 
der rupublikanisch-nationalen Partei gehört. Das im Todeskampfe liegende, 
von dem allgemeinen Stimmrechte verurteilte, von den Wählern der Seine 
unterm 27. vorigen Monats geohrfeigte Ministerium habe dem Lande eine 
Schlinge zu legen gesucht, dasselbe habe mit der Nevisionsvorlage nur eine 
Komödie gespielt, denn, wenn auch die Kammer die Regierungsvorlage an- 
genommen hätte, so würde der Senat dieselbe doch ganz unfehlbar abgelehnt 
haben. Das Ministerium habe das wohl gewußt und nur das eine Ziel 
verfolgt, sich im Besitz der öffentlichen Gewalt zu behaupten und noch ein- 
mal an den Hoffnungen der Nation zum Verräter zu werden. Die Ver- 
treter der republikanisch-nationalen Partei hätten dem Kabinet Floquet aber 
nicht gestatten wollen, in diefer Weise das allgemeine Stimmrecht zu täuschen, 
sie hätten der Kammer nicht gestatten wollen, sich durch ein Votum, das zum 
voraus den Stempel der Unfruchtbarkeit trage, in den Augen der Bevölke- 
rung eine Art Titel zu schaffen, sie hätten ihr nicht gestatten wollen, der 
Usurpation die Weihe zu geben, die durch einen der ministeriellen Revisions- 
vorlage entsprechenden Beschluß herbeigeführt worden wäre. Der parlamen- 
tarische Wirrwarr wäre dadurch nur noch vermehrt, die Revision der Ver- 
fassung im nationaken Sinne wäre vereitelt worden. Die Vertreter der
	        
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