Frankreich. (Februar 23.) 211
republikanisch-nationalen Partei hätten die Absicht verfolgt, das Ministerium
zu stürzen, welches bereits Gesetze wegen Beschränkung der Freiheit vor-
bereitete. Der Sturz des unheilvollen Ministeriums werde dem öffentlichen
Gewissen zum Troste dienen und sei ein Schritt weiter auf dem Wege zur
Auflösung der Kammer und zur Einberufung einer konstituierenden Ver-
sammlung. „Bleiben wir daher unserm Programm auch künftig treu, auch
nach der Genehmigung des Gesetzes über die Bezirkswahlen, eines Gesetzes,
das in dem Sinne seiner Urheber nichts ist, als ein Schlag, den man gegen
das allgemeine Stimmrecht geführt hat. Die Wahlperiode ist eröffnet, das
Land hat das Wort, das Land wird dem souveränen Willen zum Siege ver-
helfen. Es lebe die Republik!“
Die Bildung des Ministeriums zieht sich lange hin. Rouvier
und Kammer-Präsident Melines, die zuerst von Carnot aufgefor-
dert worden, lehnen ab, nachdem sie weder bei den Radikalen noch
bei den Gemäßigten zur Annahme von Kandidaturen bewegen
konnten. Am 20. wird Freycinet mit der Kabinetsbildung beauf-
tragt. Auch er muß diese indessen aufgeben. Am 21. erst, nach
Stägigen Versuchen, kommt ein neues, aus Radikalen und Oppor-
tunisten zusammengesetztes, Ministerium zu stande. Dasselbe lautet:
Tirard Präsidium und Handel, Constans Inneres, Rouvier Finanzen,
Thévenet Justiz, Fallières Unterricht, Faye Ackerbau, Oves-Guyot
Arbeiten, Freycinet Krieg, Jaures Marine. Die Ernennung des
Ministers für die auswärtigen Angelegenheiten ist noch vorbehalten;
den Posten erhält den Tag darauf Eugen Spuller.
23. Februar. (Ministerium Tirard.) Das neue Mini-
sterium Tirard verliest in beiden Kammern eine Erklärung, die im
wesentlichen besagt:
Dem Rufe des Präsidenten entsprechend haben wir uns die Schwierig-
keiten der gegenwärtigen Stunde nicht verheht, aber wir haben uns auf die
Erwägung gestützt, daß Sie Ihre Keililse ännern nicht versagen werden,
die von gutem Willen und dem Entschluß beseelt sind, die Pflichten zu er-
füllen, welche die allgemeine Lage erheischt. Während der wenigen Monate,
welche die gegenwärtige Legislatur von dem gesetzlichen Ablauf ihres Man-
dats trennen, bleiben noch zwei große Aufgaben zu erfüllen, das Budget pro
1890 zu votieren und durch eine groß angelegte, duldsame und weise Politik
den Erfolg der allgemeinen Ausstellung zu sichern. Andere Gesetze von großer
Wichtigkeit, welche schon seit lange erwartet wurden, wie das Militärgesetz,
befinden sich in Beratung. Wir rechnen darauf, daß Sie diese Geiefe zu
einem guten Ende führen werden; aber wir betrachten es als Hauptaufgabe
der Regierung, unter den gegenwärtigen Verhältnissen für alle Republikaner,
für alle der Sache der Ordnung und Freiheit ergebenen Franzosen das Feld
zu bereiten für eine energische und entscheidende Aktion, welche darauf ab-
zielt, die Herrschaft des Friedens, der Gerechtigkeit und des Fortschritts zu
verteidigen und zu befestigen, welche unser Land bei Begründung der Repu-
blik für sich herstellen wollte. Treu dem Geiste der freien Institutionen,
werden alle unsere Anstrengungen dahin gerichtet sein, daß Frankreich im
vollen Besitze seiner selbst inmitten eines Zeitraumes der Beruhigung und
Eintracht sich auf sich selbst besinne. Zu diesem notwendigen Friedenswerke
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