278 Rußland. (Februar 11.—Mitte.)
form der Provinzialverwaltung (Beschränkung der Befugnisse der
Semstwos; Einsetzung einer neuen Beamtenart, der „Bezirkschefs“
mit diskretionärer Gewalt vgl. 1888 S. 379), habe die Genehmigung
des Kaisers erhalten.
I1. Februar. (Spracherlaß.) Der Kurator des Dorpater
Lehrbezirks, Geheimrat Kapustin, veröffentlicht betreffs Einführung
der russischen Sprache als Unterrichtssprache in den baltischen
Schulen einen sehr strengen Erlaß,
demzufolge alle Lehrer der Stadtelementarschulen, welche unfähig sind,
den Unterricht in russischer Sprache zu erteilen, im August entlassen wer-
den. Diejenigen Gymnasial-Lehrer, welche die russische Sprache nicht mehr
zu erlernen fähig sind. dürfen nur noch 10 Stunden in der Woche Unter-
richt erteilen. Ferner wird angeordnet, die deutsche Privat-Adelsschule in
Griva (Kurland) zu schließen.
Mitte Februar. (Türkische Kriegsentschädigung.) Der
russische Gesandte in Konstantinopel, Nelidow, übermittelt der Pforte
eine Note, worin neuerdings auf Zahlung der rückständigen Kriegs-
entschädigung gedrungen und deren Tilgung durch die Einnahmen
aus der im März in Kraft tretenden neuen Gewerbesteuer vor-
geschlagen wird. Ueber diese Note erhält die „Kölnische Zeitung“
noch folgende Mitteilung:
Das neue Schriftstück unterscheidet sich von seinen Vorgängern wesent-
lich im Tone: während Herr v. Nelidow bei früheren Veranlassungen sein
klagendes Anliegen mit wohlwollender Höflichkeit vorzubringen pflegte, ist
seine Beschwerde diesmal nicht mit scharfer Ironie versetzt, sie erhebt sich
auch am Schlusse zu einer Sprache, die von einer Drohung kaum noch zu
unterscheiden ist. Herr v. Nelidow fordert dringend, daß ein Teil der
letzten Anleihe oder der von Eisenbahnen erhobenen Gelder (hier ist der
Kaufpreis für die Linie Haidar-Pascha-Ismidt gemeint und die etwa von
Baron Hirsch zu leistende Entschädigung) zur Tilgung dieses Fehl-Betrages
verwandt werde „Diese Forderung erscheine umsomehr begründet, als Lie-
ferungen von Kriegsmaterial und Forderungen sonstiger fremden Unterthanen
aus der Anleihe gezahlt und sogar Versprechungen für fernere Zahlungen
gemacht worden seien, während die Forderungen der russischen Regierung
und ihrer Unterthanen unerledigt geblieben ist.“ Die Note spricht die Hoff-
nung aus, daß die Pforte diesen Bemerkungen Rechnung tragen „und die
russische Regierung nicht in die peinliche Lage versetzt werde, zur Wahrung
ihner Interessen einen Weg zu beschreiten, der den Beziehungen zweier be-
freundeten Mächte nicht entsprechen würde."
Mitte Februar— März. (Russifizierung der ÖOstsee-
provinzen.) In dem Prozeß gegen vier evangelische Geistliche
wird ein Pastor Sokolowski wegen evangelischer Trauung eines
angeblich orthodoxen Brautpaares zu einem Jahr Gefängnis und
zur Amtsentsetzung verurteilt; gegen drei andere Geistliche wurde
wegen Vornahme der evangelischen Trauung eines konfessionell ge-