Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfter Jahrgang. 1889. (30)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 26.) 21 
Ich habe Ihnen angedeutet, wie zögernd ich an die Koloniefrage 
überhaupt herangegangen bin. Nachdem ich mich aber überzeugt habe, daß 
die Mehrheit meiner Landsleute — ich glaubte es wenigstens, und jedenfalls 
darf ich es aus der Bewilligung, die hier im Reichstag stattgefunden hat, 
schließen, — daß die Mehrheit des Reichstags den Versuch der Kolonial= 
politik, ohne sich für den Erfolg zu verbürgen, gutgeheißen hat, so habe ich 
mich nicht für ermächtigt gehalten, meine früheren Bedenken aufrechtzuerhal- 
ten, die — ich erinnere mich sehr wohl — dahin gerichtet waren, daß wir 
unsere Flagge nirgends als souverän etablieren sollten, sondern höchstens 
Kohlenstationen, — das war meine Ansicht in früheren Jahren. Kurz und 
gut, ich war gegen Gründung deutscher Kolonien. Ich habe mich darin ge- 
fügt, und wenn ich mich in meiner Stellung dem Drängen der Mehrheit 
meiner Landsleute, der Mehrheit des Reichstags süge so glaube ich, könnte 
Herr Bamberger es auch thun. (Bravol) Ich halte mich wenigstens nicht 
für ermächtigt, der großen Reichslokomotive, wenn sie ihren Bahnstrang ein- 
mal gewählt hat, Steine in den Weg zu werfen, und das, glaube ich, ge- 
schieht von den Herren, die jetzt noch, von einer kleinen Minorität unter- 
stützt, der Reichspolitik in dieser Richtung Schwierigkeiten bereiten. 
Der Herr Abgeordnete Bamberger ist in einer persönlichen Bemer- 
kung von großer Ausdehnung auf die Frage von Angra Pequena zurückge- 
kommen; ich habe ihm neulich vorgeworfen, daß er die Ansprüche seiner 
deutschen Landsleute diskreditiert hätte im Ausland durch die geringschätzige 
Art, in der er davon sprach. Ich kann ihm heute sagen, daß den deutschen 
Inhabern der von ihm so geringschätzig behandelten Rechtsansprüche von den 
englischen Konkurrenten bereits mehrere Millionen Mark für die Zession der- 
selben geboten sind. Diese Millionen Mark hat Herr Bamberger durch seine 
Aeußerungen von neulich wesentlich diskreditiert. Ich bin überzeugt, daß 
die Herren in der Kapstadt, die das geboten haben, wenn sie von der Rede 
des Herrn Bamberger hören, vielleicht nur eine Million bieten werden (Hei- 
terkeit), und auf diese Weise sein Vaterland zu schädigen, halte ich nicht für 
eine Aufgabe, der ich mich anschließen kann. 
Die Motive haben sehr unterschieden zwischen den materiellen In- 
teressen der Gesellschaft und den nationalen Pflichten, die Deutschland über- 
nommen hat, nachdem es in Afrika überhaupt irgend einen Besitz ergriffen 
hat, den nationalen Pflichten, teilzunehmen an der Zivilisierung und Christia- 
nisierung dieses weit ausgedehnten, in seinem Innern noch immer uner- 
forschten Weltteils. Ich habe die Reichsregierung nicht für berechtigt ge- 
halten, im Interesse der Gesellschaft an sich irgend eine Forderung zu machen. 
Hat sie unrichtig spekuliert, so ist das, wenn man will, ihre Sache, obschon 
ich im ganzen nicht glaube, daß andere Regierungen in ähnlichen Fällen — 
der französische Ausdruck ist: „lächeurs de leurs compatriotes“ sind, daß 
sie ihren Landsmann fallen lassen in solchen Fällen. 
Aber hier handelt es sich um etwas anderes. Die Regierung hat 
durch ihr Eintreten in die gleiche Front mit England und Frankreich in 
Afrika in der Kongofrage die Verpflichtung übernommen, an der Zivilisie- 
rung und Christianisierung dieses großen Weltteils Anteil zu nehmen. 
Hätte sie eine Gesellschaft geschützt. die sich erlaubt hätte, sich von diesen 
Prinzipien der Zivilisation vollständig zu entfernen, wie das ja von man- 
chen Handelshäusern bisher geschehen ist, am Sklavenhandel sich zu beteili- 
zen oder doch sich nicht desselben zu enthalten oder hauptsächlich die Ein- 
fuhr der Munition, die für die Sklavenjäger bestimmt ist, zu befördern — 
die Gesellschaft würde vielleicht gar so schlechte Geschäfte nicht gemacht haben 
— (sehr richtig! rechts), dann würde sie nicht den Zorn der arabischen Skla- 
venjäger auf sich gezogen haben.
	        
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