Serbien. (März 6.) 305
für jene gelte, die an der Spitze eines Staatswesens stehen. Das
Handschreiben Kaiser Wilhelms erinnerte des Weiteren an die
Leiden des Kaisers Friedrich, der ausharrte, wiewohl der Tod vor
seinen Augen stand. Dann stellte der Brief die Erfolge dar, die
König Milan bisher erreicht hatte, und wies zuletzt darauf hin,
wie die Situation für den König seit der Verfassungsrevision sich
gebessert; weshalb kein Grund zur Abdikation gegeben sei.
Dennoch blieb König Milan bei seinem Plane. Ueber die
Motive seiner Abdankung äußerte er sich am 13. März zu einem
Korrespondenten der Wiener „Neuen freien Presse":
„Man thut, als hätte ich nur in nervöser Ueberreiztheit gehandelt,
in einer Art krankhaften Zustandes. In aspeit habe ich nach reiflicher
Ueberlegung gehandelt, und keiner meiner politischen Freunde konnte durch
meinen Schritt überrascht sein. Als ich mit mir einig und entschlossen war,
ließ ich den österreichischen Gesandten von Hengelmüller nach Gleichenberg
kommen, es war dies im vorigen Oktober, und kündigte ihm an, was ich
vorhabe, mit der Bitte es dem Kaiser Franz Josef und dem Grafen Kal-
noky mitzuteilen. Seitdem war für mich nur noch das Wie in Frage; der
Schritt mußte so gethan werden, daß er Serbien und dessen Beziehungen
nach außen nicht gefährde. So paradox es klingen mag, so ist es doch
richtig, daß für Oesterreich der neue Zustand eigentlich von größerem Vor-
teile als der alte ist; denn für Oesterreich ist es gleichgültig, ob in der
politischen Hauptfrage hier das Herz oder der Kopf entscheidet. Ich war
mit dem Herzen für Oesterreich, die anderen werden es mit dem Kopfe sein.
Ich bleibe bis zum Tode in unbedingter Treue dem Kaiser Franz Josef und
in unentwegter Freundschaft Oesterreich ergeben Genau wie ich werden aber
alle handeln müssen, die es mit Serbien ehrlich meinen. Oesterreich ist uns
zu nahe, und unsere Interessen berühren sich zu sehr, als daß dies nicht
eine Rücksichtnahme auf Oesterreich zur Folge haben müßte. Auch die Radi-
kalen, die meine österreichische Politik bekämpften, sehen das zum Teil heute
schon ein, man muß sie nicht allzu schwarz oder rot nehmen. Es wird nicht
lange währen, und auch Ristitsch wird sich an Oesterreich anzulehnen suchen
und als Oesterreicher angegriffen werden. Wohl riet man mir, auszuharren
und auf dem Boden der neuen Verfassung weiter zu regieren. Ristitsch be-
schwor mich, zu bleiben und meine Ministerien nach ihrem Belieben walten
und sich abnützen zu lassen. Ich kann das nicht, erklärte ich. Auf Serbiens
Thron soll kein Schattenkönig sitzen; sein Wort, sein Wille sollen Geltung
haben. Ich will kein König sein, der bloß Aktenstücke unterschreibt oder die
Puppe seiner Minister ist. Ich kann meine Ueberzeugung nicht opfern, daß
ein Monarch im modern-konstitutionellen Sinne auf dem Balkan jetzt noch
ein Unding ist. Dieser Meinung war das Land nicht, und alle Parteien
waren darin einig, das Gegenteil von dem zu fordern, was ich als ein not-
wendiges Attribut der Königlichen Macht ansah. Ich kämpfte trotzdem einer
gegen alle, schließlich ermattete ich; das Verhältnis war zu ungleich, wenn
dieser Eine auch der König war. Ich ging, aber ich hätte ausgeharrt bis
zum letzten Atemzuge, wenn ich nicht der Ueberzeugung gewesen wäre, daß
in Ländern wie in Serbien, eine Regentschaft, wie ich sie wollte, geradezu
von Vorteil ist. Das Bild Spaniens stand vor mir und wirkte auf mich.
Gegen ein Kind kämpft man nicht. Seit ein Kind auf dem Throne sitzt,
ist in Spanien die Zeit der Pronunziamenti vorbei. Ich hatte kein Mittel,
Europ. Geschichtskalender. Bd. XXX. 20