Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfter Jahrgang. 1889. (30)

24 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 27.) 
im Pachtbesitz der Gesellschaft, wir müssen also die Gesellschaft, die einst- 
weilen unser einziges Organ zur Durchführung unserer zivilisatorischen Be- 
strebungen ist, schützen und halten, wenn wir diesen zivilisatorischen Bestre- 
bungen uns anschließen wollen. 
Ich habe die Gründe dargelegt, die mich bestimmt haben, der Strö- 
mung zu Gunsten kolonialer Bestrebungen nachzugeben, und ich habe meine 
Fügsamkeit der Allgemeinheit gegenüber dabei betont. Die Allgemeinheit 
hat aber vor vier Jahren dieser Strömung soweit nachgegeben, daß sie 
meines Erachtens nicht mehr zurück kann, und ich glaube aucht nicht, daß sie 
es für thunlich erachten wird, zurückzugehen. Ich halte mich im Gegenteil, 
namentlich nachdem ich die Rede des Herrn Abgeordneten Windthorst gehört 
habe, der Zustimmung des Reichstags zu der Vorlage vollständig versichert; 
ich bedaure nur, daß sie nicht etwas schneller erfolgt. Ich glaube, daß die 
Aufgabe, die dem Reichskommissar dort zufallen wird, etwas erleichtert 
würde, wenn sie auch nur vier bis fünf Tage früher in Angriff genommen 
werden könnte. 
Nun, meine Herren, Sie werden ja Ihrerseits erwägen, welche Zeit 
Sie brauchen, um sich zu entschließen. Ich endige meine Aeußerungen mit 
der Hoffnung, daß Sie die Regierungsvorlage mit großer Majorität an- 
nehmen werden. (Lebhafter Beifall.) 
Abg. von Bennigsen spricht für die Vorlage und deren Vorbe- 
ratung in einer Kommission und wendet sich dann gegen den Abgeordneten 
Bamberger, dessen Opposition gegen die Wünsche der Mehrheit der Nation 
er scharf tadelt; die deutschfreisinnigen düsteren Wirtschafts-Prophezeiungen 
seien noch nie in Erfüllung gegangen. 
Die Vorlage wird an eine Kommission verwiesen. 
27. Januar. (Geburtstag Kaiser Wilhelms II.) Kaiser 
Wilhelm erläßt an seinem Geburtstage folgenden Tagesbefehl: 
Auf Meinen Befehl hat heute, den 27. Januar, die Ueberführung 
der Fahnen und Standarten der in Berlin garnisonierenden Truppenteile 
des Garde-Korps aus dem Palais weiland Kaiser Wilhelms l. nach Meiner 
Residenz, dem Königlichen Schlosse, stattgefunden. 
Achtundzwanzig Jahre haben die glorreichen Feldzeichen in dem 
historischen Fahnenzimmer unter den Augen ihres Königlichen Kriegsherrn 
gestanden, und beinahe täglich hatten dessen Blicke auf ihnen geruht. Es 
ist, als ob diese Fahnen und Standarten den Geist, welcher aus den milden, 
sorgenden Herrscheraugen sie umleuchtete, den heldenmütigen Regimentern, 
welche, sei es zu harter Friedensarbeit, sei es zu blutigen Kämpfen, ihnen 
folgten, getreu überliefert haben. 
Es war der Geist, der in unermüdlicher, freudiger Pflichterfüllung 
in der Hingabe an diese Feldzeichen bis in den Tod die höchste Ehre des 
Soldaten findet, der Geist, welcher seinen großen ruhmgekrönten Kaiser bis 
zum letzten Atemzuge mit Liebe und Sorge für Sein Heer, für Sein Volk 
in Waffen erfüllte. 
Der Kranz, welchen Ich in dem nunmehr vereinsamten Fahnenzimmer 
niedergelegt habe, muß freilich verwelken, aber unverwelklich bleiben die Lor- 
beeren, mit denen die heldenmütigen Truppen der Garde, erfüllt von jenem 
Geiste, ihre Feldzeichen mit unsterblichen Thaten geschmückt haben. 
Als unvergeßliche Erinnerung lebt in Meinem Herzen das Andenken 
an den Tag, im Jahre 1881, an welchem Mein ehrwürdiger Herr Groß- 
vater Mir als Hauptmann im ersten Garde-Regiment zu Fuß auf Meine 
Bitte erlaubte, die Fahnen des Garde-Korps Demselben zur Großen Parade 
am Kreuzberge zuzuführen. Aber in tiefer Wehmut gedenke Ich jenes spä- 
  
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