Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfter Jahrgang. 1889. (30)

Nebersicht der politischen Entwichelung des Jahres 1889. 359 
einen Artikel (7. Juli), der in doktrinärer Form den Satz aus- 
führte, daß der Krieg nur ein Mittel der Politik sei und der 
Strateg sich deshalb dem Staatsmann unterordnen müsse. Das 
Publikum bezog das auf konkrete Verhältnisse und Vorkommnisse. 
Graf Waldersee verwahrte sich in öffentlichen Erklärungen gegen die 
Behauptung, daß er Politik treibe oder Parteimann sei. (16. Juli; 
1. Oktbr.) 
Der Zusammenschluß der Kartell-Parteien brachte als Rück- 
wirkung eine Annäherung der drei außenstehenden Parteien, des 
Deutsch-Freisinns, der Ultramontanen und der Sozialdemokraten 
hervor. Der Abgeordnete Windthorst erklärte auf einer Katholiken- 
Versammlung in Heiligenstadt (November), daß die Stimmen des 
Zentrums Kartell-Kandidaten nicht gegeben werden könnten und 
die Deutsch-Freifinnigen stimmten bei Stichwahlen in Hannover 
für die Welfen (8. März) und gingen bei Stadtverordneten-Wahlen 
in Berlin mit den Sozialdemokraten zusammen. Vielen Mitglie- 
dern der Partei aber ging das zu weit und es kam zu einiger Auf- 
lehnung gegen die Parteiführung und ihren zu weit gehenden Ra- 
dikalismus. (S. 26, 119.) 
Das Zentrum stellte sich wohl bei den Wahlen scharf feindlich 
zum Kartell; in der praktischen politischen Arbeit aber vollzog sich 
eher eine Annäherung. Manchmal schien es, als ob nur ein Teil 
der Fraktion unter Führung der Herren von Huene, von Schor- 
lemer, von Franckenstein, Graf Ballestrem sich auf die Regierungs- 
seite schlagen werde, aber eine Trennung trat doch nur bei sehr 
einzelnen Gelegenheiten zu Tage. Die „Konservative Korrespon- 
denz“ charakterisierte bei Besprechung einer Herrn von Huene in 
sehr auszeichnender Weise verliehenen Dekoration (26. März) das 
Verhältnis folgendermaßen: „Die Herrn v. Huene verliehene Aus- 
zeichnung markiert in keiner Weise den Beginn einer neuen Partei- 
Epoche, sondern bringt lediglich den bereits erreichten Umfang ihrer 
Entwicklung und Befestigung allgemein zum Bewußtsein. Das 
Wesen dieser neuen Stellungnahme aber besteht nicht in der Ten- 
denz, ein „klerikal-konservatives“ Bündnis zu schaffen oder über- 
haupt bestimmte parteipolitische Ziele zu erreichen — so wenig wie 
wir das Kartell mit den Nationalliberalen abgeschlossen haben, um
	        
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