Neberscht der politisczen Entwickeln## des Jahres 1889. 361
Alter zu schaffen, wäre doch auch gar zu unpolitisch gewesen. Mit
unermüdlichem Fleiß arbeitete die Kommission unter dem Vorsitz
des Freiherrn von Franckenstein über ein Vierteljahr an der Durch-
führung und an einigen Stellen einschneidenden Umarbeitung der
Regierungsvorlage. Der Minister von Bötticher, Direktor Bosse
und der Geheimrat von Woedtke vom Reichsamt des Innern führ-
ten die Verhandlungen im Geist eines sich seiner Aufgabe bewuß-
ten Staatsbeamtentums, empfänglich für jede Anregung, klar, um-
sichtig und solide in der Durcharbeitung, bestimmt und energisch
in der Festhaltung der Grundgedanken und Wahrung des Allge-
meininteresses.
Gekämpft wurde hauptsächlich um folgende Punkte: Von
konservativ-agrarischer Seite wünschte man eine einheitliche Rente,
in der Besorgnis, daß die höheren Renten für die Industrie-Ar-
beiter noch mehr als bisher, namentlich aus dem Osten, die länd-
lichen Arbeiter in die Städte locken werden. Die Regierung hatte
Ortsklassen vorgeschlagen. Die Kommission entschied sich für Lohn-
klassen, machte aber der ersteren Richtung das Zugeständnis, daß
das Reich nicht ein Drittel der jeweiligen Beiträge trage (wodurch
den höheren, also wohlhabenderen Klassen höhere Zuschüsse zuteil
geworden wären, als den niederen), sondern daß das Reich zu jeder
Rente gleichmäßig 50 Zuschuß jährlich leiste. — Für die Auf-
bringung des Erfordernisses standen sich gegenüber das Prinzip der
Deckung und der Umlage: nach dem ersteren müßten die Beiträge
sofort in der Höhe normiert werden, wie sie voraussichtlich dauernd
erforderlich werden, nach dem letzteren hätten sie nur das jährlich
Erforderliche aufzubringen, also sehr gering anzufangen, um im
nächsten Jahrhundert desto höher zu werden. Man schloß einen
Kompromiß, wonach die Beiträge zunächst für zehn Jahre in einer
Höhe festgesetzt wurden, die zwar das erstgenannte Anfordernis nicht
erreichte, aber doch so hoch war, daß Optimisten, die die naturgemäß
sehr unsichere Berechnung für zu ungünstig hielten, meinen woll-
ten, es sei thatsächlich die normale Höhe. — Lange, noch während
der ganzen zweiten Beratung im Plenum mußte man nach dem
richtigen Modus der Steigerung der Renten suchen. Man fand
die Lösung endlich darin, daß in der untersten Lohnklasse die An-