Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfter Jahrgang. 1889. (30)

Italien. 
384 Nebersicht der pyolitischen Eutwickelnns des Jahres 1889. 
zenden Erfolg, den die zur Feier des Jubeljahres inszenierte Welt- 
Ausstellung erzielt hat. Obgleich wegen der Verbindung mit einer 
Revolutionsfeier die meisten monarchischen Staaten sich nicht be- 
teiligten, so ist doch nur eine Stimme, daß die Fülle des Gebotenen, 
der Reichtum, die Geschicklichkeit, der Geschmack des Arrangements 
einen zauberhaften Anblick gewährte. In ungezählten Scharen 
pilgerten die Fremden, selbst aus dem bitter angefeindeten Deutsch- 
land, in die Hauptstadt der Nation, die den Namen der „großen“ 
nicht vergessen mag und in solchen Leistungen ihren alten Rechts- 
titel zu verjüngen meint. Das eigentliche Wahrzeichen dieser Aus- 
stellung war der „Eiffel-Turm“, eine Eisenkonstruktion von 1000 
Fuß Höhe, darthuend, daß wenn auch nicht mit Recht, so doch nicht 
ohne Grund von Manchen unser Jahrhundert als das Zeitalter der 
Technik und der Industrie in Anspruch genommen wird. 
Italien hat sich ein neues Strafgesetzbuch gegeben, welches 
von berufenen Beurteilern als eine vortreffliche Leistung hingestellt 
wird. Der parlamentarische Abschluß dieser sehr langwierigen Ar- 
beit verdient wegen der eigentümlichen Freiheit, zu der die Kon- 
sequenz des Parlamentarismus sich hier entwickelt zeigt, eine be- 
sondere Erwähnung. Einige Fragen, namentlich diejenigen der 
Behandlung des Landesverrates und des politischen Mißbrauches 
der Kanzel und des Beichtstuhls waren in den Verhandlungen 
zwischen den beiden Kammern nicht zu völligem Austrag gebracht. 
Dieses Kapitel ist in Italien von besonderer Bedeutung, da ja das 
Papsttum fortfährt, die Hauptstadt von dem nationalen Körper 
losreißen zu wollen und so eigentlich die gesamte Korporation des 
Klerus in einer Art Kriegszustand mit dem Staate lebt. Trotz- 
dem behielt das Parlament die letzte Entscheidung nicht in seiner 
Hand, sondern übertrug sie einfach dem Ministerium. Dieses erhielt 
die Vollmacht nach Abschluß der parlamentarischen Beratung noch 
Veränderungen vorzunehmen mit der einzigen Maßgabe, daß solche 
der Intention des Parlamentes eutsprechen müßten. Das Ministe- 
rium hat daraufhin die kirchenpolitischen Bestimmungen auch that- 
sächlich noch gemildert. (Vgl. den Aufsatz von Dr. Stephan in den 
Preuß. Jahrb. Bd. 64 S. 615). Trotz des schärfsten prinzipiellen 
Gegensatzes, trotz der größten Entschiedenheit in Erklärungen und
	        
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