Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfter Jahrgang. 1889. (30)

386 Aebersicht der pvolitischen Entwickelung des Jahres 1889. 
darüber zu einer Ministerkrisis, die aber nur einen Personenwechsel 
zur Folge hatte und der neue Finanzminister begab sich auf den 
Weg der unsoliden Wirtschafter, vom Kapital zu leben. Er schlug 
den allmählichen Verbrauch des Rentenbesitzes der Pensionskasse 
vor und daneben einige geringere Steuern und Ersparnisse. Auch 
dies Programm fand keinen Beifall und Ende Februar entstand 
eine neue Ministerkrisis, die aber auch bloß zu einem Personen- 
wechsel führte. Seismit Doda, der Finanzminister und Giolitti, 
der Schatzminister faßten als Heilmittel die Beseitigung des Zoll- 
krieges mit Frankreich ins Auge, der dann auch am Ende des 
Jahres in der Thronrede in Aussicht genommen wurde. (Agl. 
Preuß. Jahrb. Bd. 63 S. 310 u. 416 u. Bd. 64 S. 729.) 
Schweiz. Ueber den kleinen Konflikt der Schweiz mit dem deutschen 
Reich haben wir bereits bei diesem berichtet. Die Genugthuung, 
die die Schweiz Deutschland indirekt gab, bestand in der Errichtung 
eines neuen Amts zu einheitlicher Leitung der Fremdenpolizei, eines 
Bundesanwalts. Man durfte das so auslegen, daß die Schweiz 
ihren internationalen Verpflichtungen gerecht werden wolle. Die 
Sozialdemokraten versuchten deshalb eine Volksabstimmung über 
die neue Institution zu beantragen, um sie als im Widerspruch 
mit dem wahren Geiste schweizerischer Freiheit zu Falle zu bringen. 
Aber nicht einmal die 30,000 Stimmen, die zur Beantragung eines 
„Referendums“ nötig sind, brachte die Partei zusammen. (Vgl. 
S. 259). 
Um die Hindernisse, welche die internationale Konkurrenz der 
Arbeiterschutzgesetzgebung in den Weg legt, zu beseitigen, ist schon 
öfter der Vorschlag, auch im Jahre 1882 schon einmal ein Versuch 
gemacht worden, durch eine völkerrechtliche Abmachung unter allen 
größeren Industriestaaten allenthalben gleichzeitig identische Be- 
stimmungen einzuführen. Die Schweiz, die auf diesem Gebiete der 
Gesetzgebung bereits erhebliche Resultate aufzuweisen hat, beschloß 
im Jahre 1889 die Initiative zu ergreifen und zu einer vorläufigen 
Konferenz von Sachverständigen nach Bern einzuladen. In dem 
Rundschreiben des Bundesrats (vom 15. März) hieß es: „Die Art 
und Weise des Vorgehens dürfte nach der Ansicht des schweizerischen 
Bundesrates darin bestehen, daß sich zunächst eine keinen diploma-
	        
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