Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 29.) 49
Hingebung gearbeitet hat wie kaum je eine. Und ich glaube, daß ich auch
von dieser Stelle das Recht habe zu sagen: daß sie so gut gearbeitet ist und
so erfolgreich, verdanken wir im wesentlichen meinem Freunde, Freiherrn
von Frankenstein. (Bravo! im Zentrum.) Aber, meine Herren, es bleibt
doch die erste Ueberarbeitung, die erste Kritik; und daß wir nun gleich das
ganz Richtige getroffen haben sollten, kann ich meinesteils nicht anerkennen.
Darum verfolge ich bei der jetzigen Beratung einfach das Ziel, daß wir
gründlich die Dinge durchberaten, auch abstimmen, um zu sehen, wie die
Anschauungen liegen, — denn die größte Zahl der Mitglieder des Hauses
spricht sich gar nicht aus und kann sich nicht aussprechen, — daß wir dann
aber für dieses Jahr den Abschluß nicht herbeiführen, daß wir vielmehr,
nachdem das Volk diese Angelegenheit hier hat verhandeln hören, nachdem
es gesehen hat, worauf es ankommt, was auf dem Spiele steht, es nun in
seiner Gesamtheit mitarbeiten lassen in ferneren Diskutierungen in der Presse,
in Denkschriften, Versammlungen u. s. w., und daß wir dann in einem fol-
genden Stadium die Sache zur Ausgestaltung bringen. Das ist mein Ge-
danke; das ist das, was mich leitet bei den Abstimmungen, die wir dem-
nächst vornehmen werden; und wenn ich vermöchte, das zu erreichen, dann
würde ich glauben, dem Vaterlande einen großen Dienst geleistet zu haben.
(Bravo! im Zentrum.) Sie können doch denken, daß ich wohl großes In-
teresse habe, diese Sache zu Ende zu führen. Ich möchte allerdings teil-
nehmen an der Erreichung der Ziele, die dieses Gesetz vor Augen hat, —
und ich weiß nicht, wie viel Tage mir noch gegönnt find, — aber lieber
will ich doch nicht teilnehmen, solange ich nicht die Ueberzeugung habe, es
wäre alles geschehen, was für ein solches Gesch möglich ist. In England,
meine Herren, wäre es unmöglich, ein solches Gesetz in solcher Raschheit zu
machen.
Meine Herren, das glaubte ich vorausschicken zu müssen. Ich wende
mich nun zu dem § 1.
Meine Herren, dieser § 1 hat die Sache in einem Umfange ergriffen,
der ursprünglich, glaube ich, nicht beabsichtigt gewesen ist. Ich habe die
Meinung, daß man solche Gesetze in solcher Weise machen muß, daß mög-
lichst die Versuchsnatur ihnen erhalten bleibt. Versuchen, ob die Dinge
ehen, kann man nach meiner Ansicht nur dann, wenn die Inslebenführung
in der Beschränkung geschieht, welche die Herren Hitze und Hertling vor
Augen haben. Man meint, das wäre aus diesen oder jenen technischen
Gründen, wegen der nicht genügenden Trennung der verschiedenen Arbeits-
klassen, nicht möglich. Aber es ist das bei dem Unfallgesetz möglich gewesen
und ausgeführt worden, und ich bin überzeugt: wenn wir den Gedanken,
der in dem Antrag Hitze ausgesprochen ist, annehmen, so wird die Sache
ganz füglich gehen, und wir können dann nach Maßgabe der Erfahrungen,
die wir in diesem beschränkten Rahmen machen, sehen, ob wir weiter gehen
können, und wie weit. Die Herren, welche meinen, der Umfang des § 1,
so wie er nach der Kommissionsvorlage liegt, wäre ein vollkommen zutref-
fender und abgeschlossener, müssen sich doch aus den Ausführungen der
Herren von der sozialdemokratischen Partei überzeugt haben, daß das gar
nicht der Fall ist. Denn ich habe nicht gehört, daß man die Ausführungen
der Herren Bebel, Singer und Grillenberger hat widerlegen können, nach
welchen die Kategorien, von denen sie sprachen, ebensowohl hierher gezogen
werden können wie die, welche icht herangezogen sind, und ich bin einiger—
maßen erschrocken, als der Herr Vertreter der verbündeten Regierungen, der
Herr Staatsminister v. Boetticher, sagte: das kann ja noch geschehen, wenn
die Dinge weiter sich entwickelt haben werden. Meine Herren, wo wird das
dann aufhören? Wo wird die Grenze der Versicherten sein? Wenn alle,
Europ. Geschichtskalender. Bd. XXX. 4