52 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 9.— 10.)
Im Abgeordnetenhause weist im Namen des Senioren-Kon-
vents v. Schorlemer-Alst in sehr scharfen Worten diesen Angriff
zurück.
9. April. (Kriegsministerwechsel.) An Stelle Bronsarts
von Schellendorff wird General der Infanterie von Verdy du Ver-
nois, bisher Gouverneur von Straßburg, zum Kriegsminister er-
nannt.
10. April. (Das Verbot der „Volkszeitung") wird
durch Entscheidung der Reichs-Kommission (unter Minister Herr-
furths Vorsitz) aufgehoben.
Aus den Entscheidungsgründen lauten die wichtigsten Stellen:
„Was die Sache selbst anbetrifft, so will die „Volkszeitung“ nicht
als ein sozialdemokratisches Organ gelten, vielmehr nur als Organ der
Demokratie betrachtet sein. Zum Nachweis der Richtigkeit dieser Behaup-
tung hat insbesondere die „Volkszeitungs“-Aktien-Gesellschaft unterm 27. März
1889 der Reichskommission eine Erklärung eingereicht, in welcher die Redak-
teure Holdheim, Elcho, Mehring, Ledebour und Oldenburg bezeugen, „daß
sie seitens des Aufsichtsrats der „Volkszeitung“, Aktiengesellschaft, bei ihrer
Anstellung verpflichtet worden sind, politisch die „Volkszeitung“ nach den
Grundsätzen der alten Fortschrittspartei zu leiten und in Fragen der sozia-
len Reform sich auf dem Boden der heutigen Gesellschafts= und Staatsord-
nung innerhalb der Grenzen zu halten, welche durch die englische Arbeiter-
Gesetzgebung gezogen worden sind“.
Indes sei, wie der Inhalt der letzten Jahrgänge der „Volkszeitung"
ergebe, dieser Weisung nicht immer Folge geleistet worden. Denn es unter-
liege keinem Zweifel, daß die „Volkszeitung“ bereits seit längerer Zeit den
Charakter eines rein demokratischen Blattes nicht gewahrt, seine Spalten
vielmehr vielfach auch der Vertretung der sozialdemokratischen Ideen und
Interessen geoffnet habe.
„Die bei dem Mitredakteur Franz Mehring beschlagnahmten, an ihn
gerichteten Briefe namhafter Führer der Sozialdemokratie: Bebel, Singer,
Liebknecht und anderer liefern denn auch den Beweis, daß die Genannten,
sowie bis zu seiner Erkrankung der frühere Reichstagsabgeordnete Hasen-
clever mit demselben in näherer Verbindung gestanden, auch Korrespondenz-
artikel für die „Volkszeitung“ geliefert haben, und daß eine gewisse Ver-
ständigung zwischen ihnen und der Redaktion der „Volkszeitung“ über die
Richtung der letzteren und die Aufnahme sozialdemokratischen Zwecken die-
nender Artikel vielfach stattgefunden hat."
Weiter wird eine ganze Reihe von Artikeln der „Volkszeitung“ zitiert
und dann der Schluß gezogen:
„Ueberall tritt die von der „Volkszeitung“ angestrebte Gemeinsamkeit
der Thätigkeit der deutsch-freisinnigen und der sozialdemokratischen Partei
zu Tage."“
Es folgt eine zweite Reihe von Belegen dafür und für den Satz, daß
die „Volkszeitung“ einen den öffentlichen Frieden, insbesondere die Eintracht
der Bevölkerungsklassen gefährdenden Charakter getragen habe. Auf Grund
aller dieser Belege kommt die Kommission zu dem Schluß:
„Faßt man das bisher Gesagte zusammen, so ergibt sich das un-
zweifelhaft thatsächliche Resultat: daß, wenngleich auch keine einzelne dieser
Nummern für sich allein unter die Verbotsbestimmung der § 11 ff. des