Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April Mitte —-Mai.) 55
er unter den obschwebenden Verhältnissen eine ersprießliche agita-
torische Thätigkeit in Berlin nicht für möglich halte. Für die Zu-
kunft habe sich Stöcker selbstverständlich in keiner Weise gebunden.
Der Stöcker nahestehende „Reichsbote“ schreibt:
„Stöcker werde sich vorläufig von dem eigentlichen Parteikampfe fern
halten, weil er denselben unter den gegenwärtigen Verhältnissen für zweck-
los hält. Sobald er sich aber überzeugt, daß diese Zurückhaltung schädlich
wirkt und ein Wiedereintreten in den Parteikampf notwendig ist, wird er
wieder in denselben eintreten; seine Entschließung ist durch nichts behindert.
Vorläufig, bis nach den nächsten Reichstagswahlen, wird der Parteikampf
in Berlin durch Stöcker nicht gestört werden. Selbstverständlich werden sich
unter den obwaltenden Verhältnissen auch seine Gesinnungsgenossen des Par-
teikampfes enthalten. Die Mittelparteiler werden Gelegenheit haben, ganz
ungestört zu zeigen, was sie können.“
Hofprediger Stöckers eigenes Organ, das „Volk“, schreibt mit
Bezug auf den Rücktritt seines Gründers:
„Als Jesus Christus sich mit der heuchlerischen Sippe der Pharisäer
und Schriftgelehrten auseinanderzusetzen hatte, nannte er sie Otternbrut u. s. w.
Mit heiligem Zorne entlarvte er ihr heuchlerisches Wesen. Und doch war
er der Holdseligste und Sanftmütigste, der nicht drohte, da er litt.“ Es
seien die richtigen Nachkommen der Pharisäer und Schriftgelehrten, der
Otternbrut, welche sich auch in den Angriffen gegen Stöcker hervorthun
„Was Christum kreuzigte und was den Hofprediger Stöcker seit dem ersten
Tage seines Auftretens mit tausend Nadelstichen, mit zahlreichen Verleum-
dungen, mit noch mehr Verdächtigungen, mit ungezählten Bosheiten verfolgte,
— es ist im Grunde ein und dasselbe."“
In einem weiteren Artikel schreibt das „Volk“:
„Die evangelische Kirche hat nur einen geistlichen Vertreter im Reichs-
tage und Landtage, das ist der Hofprediger Stöcker. Und diesem einzigen
will man nicht gestatten, daß er öffentlich das Schwert der scharfen Rede
führe gegen die offenbaren Feinde evangelischen Christentums und christlichen
Volkstums; man will nicht, daß er von „Politik“ rede; aber die politischen
Zeitungen, die jüdisch-freisinnigen Tagesblätter mischen sich täglich in die
Angelegenheiten der evangelischen Kirche und suchen die evangelischen Christen
ihrem Glauben zu entreißen. Soll darüber geschwiegen werden? Dann
werden die Steine schreien! Nie und nimmer kann die evangelische Kirche
dazu schweigen Wenn vorübergehend die staatliche Gewalt es durchsetzt,
daß sie den einzigen geistlichen Vertreter der evangelischen Kirche in den
Parlamenten am politischen Reden hindert, so wird auch das dazu dienen,
den evangelischen Christen die Augen zu öffnen über den Zustand der Knecht-
schaft und Knebelung, in welchem sich ihre Kirche befindet, während der
kaiholischen Kirche im evangelischen Preußen der freieste Spielraum auch auf
politischem Gebiete gelassen ist.“
Ebenso nehmen die Christlich-Sozialen in einer Versammlung
zu Ehren Stöckers eine Resolution an, in der sie erklären, nach wie
vor „in altem Vertrauen und unentwegter Treue für ihren in
Sturm und Kampf erprobten Führer und ersten Präsidenten, Herrn
Hofprediger Stöcker, einzutreten“.
In Bezug auf die Wahl, die Stöcker, vor die Alternative