126 Das Dentsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juli 31.)
Ich bin einigermaßen gehindert worden in der Entwickelung dieser
Empfindung durch die Ereignisse vom Jahre 1848. Der Kampf gegen
unsre eignen Landsleute in den Berliner Straßen, gegen die Farben, die
ich als Offizier mit Stolz trug, hatte einen erbitternden Rückschlag auf
meine Gefühle, der noch nicht vollständig überwunden war. Wie wir zum
Erfurter Parlament vereinigt waren, da habe ich Thüringen zum ersten
Male auf längere Zeit wiedergesehen, wenn ich einen kurzen Aufenthalt in
Jena, den der damalige Senat noch abzukürzen das Bedürfnis hatte (Heiter-
keit), abrechne. In Erfurt war die Frucht der deutschen Einheit nicht
reif. So lange wir im Dualismus mit Oesterreich lebten, konnte die Ent-
wickelung dieses Dualismus doch höchstens zu einer Trennung zwischen dem
Norden und Süden Deutschlands führen. Das wäre das Ende vom Liede
gewesen, wenn das Band des Dualismus nicht durch das Schwert gelöst
worden wäre. Ich erwähne dies, um daran die Behauptung zu knüpfen,
daß der Bürgerkrieg, den wir 1866 geführt haben, ganz unvermeidlich war.
Wir mußten uns nach deutscher Art und Gesinnung einmal im Gottes-
urteil schlagen, um zu wissen, auf welche Seite sich die Entscheidung der
höheren Gewalt stellen würde. Das ist geschehen, und mit der Zurückhal-
tung geschehen, die Landsleute einander schuldig sind. Wir haben bei
unserm damaligen Gegner keine unversöhnliche Stimmung hinterlassen. Es
ist uns gelungen, mit Oesterreich in ähnliche Beziehungen zu kommen, wie
diejenigen waren, die von den Frankfurter Verfassungsentwürfen vergebens
erstrebt wurden. Wir haben sie heute reifer, vollständiger und wirksamer,
als sie damals erstrebt wurden. Man muß also nur dem lieben Gott Zeit
lassen, seine deutsche Nation durch die Wüste zu führen und die Ankunft
in dem gelobten Lande, in dem wir uns zu befinden glauben (Heiterkeit),
abzuwarten. Wir haben außer dem österreichischen Kriege den französischen
absolut führen müssen, denn wir brauchten nicht bloß die Zustimmung
Oesterreichs, sondern wir brauchten die Zustimmung des europäischen
Seniorenkonvents zu unsern neuen Einrichtungen. Es war deshalb ein
Bedürfnis, den französischen Krieg isoliert führen zu können. Gegen eine
Koalition von ganz Europa, eine Roalition, wie sie der siebenjährige Krieg
kannte, wäre unfre Aufgabe eine viel schwierigere und mißlichere gewesen.
Es goehört zu der göttlichen Fügung der deutscher Nation, auf die ich auch
für die Zukunft Vertrauen habe, daß politische Zufälle, die niemand vor-
aussehen konnte, den engen Zusammenhang zwischen Oesterreich und Ruß-
land, der uns zur Zeit von Olmütz gegenüber stand, sprengten, und zwar
in einer Weise, daß wir die Trennung der Olmützer Verbindung für unfre
nationalen Zwecke politisch benutzen konnten. Hätte uns 1866 Oesterreich
und Rußland in derselben Geschlossenheit gegenüber gestanden, wie zur Zeit
von Olmütz — Gott weiß allein, ob der Erfolg derselbe gewesen wäre und
ob wir heute auf derselben Stufe ständen. Wir hätten im Kampfe mit
Frankreich, der so wie so notwendig war, wie er ja in jedem Jahrhundert zwei-
bis dreimal vorkam, in wesentlich minderer Macht gegenüber gestanden und
vielleicht nicht glücklich.
Diese Kriege waren notwendig, nachdem sie aber geführt waren,
halte ich es für nicht nötig, daß wir weitere Rriege führen. Wir haben in ihnen
nichts zu erstreben. Ich halte es für frivol oder ungeschickt, wenn wir uns
in weitere Kriege hineinziehen lassen, ohne durch fremde Angriffe dazu ge-
zwungen zu werden. Dann allerdings werden wir auch so stark sein, wie
Deutschland in der Mitte von Europa es ist. Das heißt, seinen Nachbarn,
auch wenn sie sich verbinden, gewachsen sein, aber nur defensiv. Aggressive
Kabinettskriege können wir nicht führen. Jede Nation, die in der Lage
ist, sich zu einem Kabinettskrieg zwingen zu lassen, hat nicht die richtige