36 B#s Deentsche Reich und seine einfeluen Glieder. (Januar 28.)
fassungsänderung so etwas ganz Ungeheuerliches wäre, als wenn man da
nur mit dem allergrößten Zögern und nur bei den allerwichtigsten Fragen
heranginge. Ich halte diese Frage für eine sehr wichtige, für eine sehr
viel wichtigere, als viele derjenigen Fragen, welche seit Bestehen der Ver-
fassung Verfassungsänderungen veranlaßt haben. Herr Richter nannte die
Zahl 21. Der Artikel 107 der Verfassung gibt ja auch einfach an, daß
die Verfassung auf dem ordentlichen Wege der Gesetzgebung geändert
werden könne.
Und wenn wir an eine derartige Revision der Verfassung für diese
spezielle Gesetzesvorlage kommen, dann möchte ich den Herrn Kultusminister
bitten, zu beantragen, dem Artikel 24 der Verfassung eine klare Fassung
zu geben, damit ein Mißverständnis zwischen uns in der Bedeutung und
Auslegung dieses Paragraphen nicht mehr möglich wäre. Er will ja nach
seinen Versicherungen gerne die Mißverständnisse und mißverständlichen Auf-
fassungen zwischen uns beseitigen.
Meine Herren, der Artikel 24 der Verfassung, auf welchen der Herr
Kultusminister die ganze Frage der extremen Konfessionalität, wie sie in
seinem Entwurfe enthalten ist, aufbaut, ist mir allerdings klar, nachdem
ich die verschiedenen Meinungen von Staatsrechtslehrern darüber gelesen
habe, und namentlich klar in Verbindung mit dem damaligen Geist der
Bevölkerung, aus dem dieser Verfassungsentwurf entsprungen ist. Der
Artikel sagt, daß bei Einrichtung der öffentlichen Volksschulen die kon-
fessionellen Verhältnisse zu berücksichtigen seien — (Zuruf links: Möglichst.)
— möglichst zu berücksichtigen seien. Er sagt aber nicht, daß sie bestimmend
sein sollen, und von dieser irrtümlichen Auffassung geht der Entwurf aus.
Der Artikel 24 fährt dann fort: „Den religiösen Unterricht in der Volks-
schule leitet die betreffende religiöse Genossenschaft".
Nach meiner Auffassung läßt diese eine Unterscheidung zwischen dem
religiösen und dem sonstigen Unterricht erkennen, sie läßt erkennen, daß die
Verfassung den religiösen Unterricht und den übrigen Unterricht in zwei
Teile hat teilen wollen. Damit ist für mich ein sehr wesentlicher Teil
dieses Entwurfs, namentlich die ganze Frage der Simultanschulen, die der
Herr Kultusminister auf seine Auslegung des Artikels 24 der Verfassung
aufbaut, für mich aus diesem Paragraphen nicht zu folgern.
Meine Herren, diese Auslegung des Artikels 24 der Verfassung ent-
spricht der Auffassung, die durch einen einstimmigen Beschluß des Herren-
hauses im Jahre 1876 angenommen worden ist. Ich führe für diese An-
schauung speziell das Herrenhaus auf als die konservativste Körperschaft im
Staate, von deren Auffassung der Herr Kultusminister wahrscheinlich auch
ganz gerne Kenntnis nehmen wird. Dieser Auslegung des Artikels 24 ist
zugestimmt worden aus Anlaß einer Petition wegen Einrichtung katholischer
Volksschulen. Der Berichterstatter des Herrenhauses im Jahre 1876 war
der Herr Generalstaatsanwalt Wever, also ein Mann, der auf sehr konser-
vativem Boden stand. — Wie mir eben zugerufen wird, war der perr
Oberstaatsanwalt Wever auch Katholik. Also hier ist denn doch die Dar-
legung eines Mannes und der Beschluß einer Körperschaft, die nicht miß-
achtet werden kann, und die uns vor dem Vorwurfe schützen muß, als wenn
wir willkürlich in der Auslegung des Artikels 24 diejenige Auffassung be-
kämpfen, die der Herr Kultusminister — ich weiß nicht, auf welche Auto-
rität hin, vielleicht auf seine eigene Beurteilung hin — dieser Bestimmung
der Verfassung gibt. Meine Herren, die Bestimmungen in der Verfassung
in Beziehung auf das Schulwesen find bisher alle nur Verheißungen ge-
wesen, Das Volksschulwesen ist, soweit wie die ältere Gesetzgebung nicht
ausreichte, durch Verwaltungsverorduungen aufgebaut worden. Meine