Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunter Jahrgang. 1893. (34)

164 Das Veutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 14.) 
Ich muß nun aber doch dem Herrn Reichskanzler eine Unterlassungssünde 
vorführen. Zu den Kompetenzen der verbündeten Regierungen und des 
Reichs gehört doch ganz unzweifelhaft die Währungsfrage. Und bezüglich 
dieser dem Wunsch der Landwirtschaft entgegenzukommen und hier mannig- 
fache Abhilfe zu schaffen für die schweren Schäden, die der Landwirtschaft 
in anderer Richtung zugefügt worden sind, dazu wäre nach meiner Ansicht 
der Herr Reichskanzler wohl in der Lage gewesen. 
Meine Herren, ich muß nun doch sagen, daß von uns wenigstens 
zweierlei unzweifelhaft bewiesen worden ist. Zunächst einmal, daß eine 
Schädigung der Reichsfinanzen durch Herabminderung der Zölle und den 
Abschluß der Handelsverträge eingeführt ist. Das wird sich jetzt ungefähr 
auf jährlich 40 Millionen Mark belaufen oder noch etwas mehr. Ganz 
leichthin gibt man aber 40 Millionen auch nicht weg nach meiner Ansicht, 
vor allem, da der Ausfall auf eine andere Weise aufgebracht werden soll 
und man über den Modus, wie ich glaube, noch recht uneinig ist. 
Dann aber kann man das eine doch auch nicht in Abrede stellen — 
und das ist auch von Herrn v. Marschall wenigstens zugegeben worden —, 
daß der Zoll vom Ausland getragen wird. Wenn nun von diesem Zoll 
1½ 4 genommen wird, dann ist der leidende Teil nicht das Ausland, son- 
dern das Inland, also in diesem Falle die deutsche Landwirtschaft. Und 
wenn es auch bloß 1½ JX sind, auf den Wispel sind es bereits 15 A; und 
bei einem Preise von 123 — sind 15 JX¾ allerdings sehr viel empfindlicher 
als bei einem Preise von 240 + (Sehr richtig! rechts.) Bei 123.4 sind 
15 4 bereits 13½ Prozent für Roggen, für Weizen, der 1504 kostet, 
reichlich 10 Prozent. Diese 10 oder 13½ Prozent kann der deutsche Land- 
wirt jetzt absolut nicht entbehren. (Sehr richtig! rechts.) Deshalb, glaube 
ich, ist durch dieses ganz einfache Exempel mehr bewiesen worden, als der 
Herr Freiherr v. Marschall je mit Tisten Gegenbeweisen zu erreichen in der 
Lage gewesen ist. (Sehr richtigl! rechts.) 
Dann hat Herr v. Bennigsen es für gut befunden, uns die Agitation 
vorzuwerfen, die wir bezüglich der agrarischen Bewegung in Szene gesetzt 
hätten, und vor dieser Agitation gewarnt und uns zugerufen, wir würden 
nicht im stande sein, diese Agitation in den richtigen Bahnen zu halten 
oder nach unseren Wünschen zu gestalten. Nun meiue ich, ist doch Herr 
v. Bennigsen von allen Rednern in diesem Hause vielleicht am wenigsten 
berufen, uns derartige Vorhaltungen zu machen; ich erlaube mir, ihn nur 
daran zu erinnern, daß er es gewesen ist, der vor noch gar nicht sehr langer 
Zeit hier den sogenannten Rütlibund in Szene gesetzt hat und eine Agi- 
tation gegen das Volkswohl heraufbeschworen hat, die nach meiner Ansicht 
ein schweres nationales Unglück war. 
Nun kann ich Sie versichern: von der Agitation, von der Sie reden, 
habe ich persönlich in meiner Gegend wenigstens absolut nichts verspürt. 
Die Erregtheit gegen die Handelsverträge, gegen den spanischen ebensogut 
wie gegen die anderen, ist bei uns ganz aus sich selbst heraus gewachsen 
durch die schwere Not der Zeit, und, wie ich schon ausgeführt habe, die 
Erregung wird noch mehr wachsen, die agrarische Strömung wird noch leb- 
hafter werden durch die Abstimmungen, die jetzt vorgenommen sind. Wir 
brauchen absolut keine Agitation, die kommt ganz von selbst. 
Nun wird ja, meine Herren, Ihnen wahrscheinlich ganz gleichgültig 
sein, was ich für meine Person hier vortrage. Das kann ich aber meiner- 
seits nicht ändern; ich muß aber das eine hinzufügen, daß ich hier im Namen 
der gesamten konservativen Fraktion spreche; ich glaube, daß ich gesprochen 
habe im Namen meiner sämtlichen politischen Freunde, und nicht nur derer 
hier im Hause, sondern auch im Namen der weitaus meisten Konservativen
	        
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