Das Denishe Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 14.) 165
im Lande. Sollte aber die Strömung, die gegen die konservative Partei
an gewissen Stellen herrscht und deutlich dokumentiert worden ist, so leb-
haft sein, daß auch diese Ausführung nur geringen Eindruck macht, so
möchte ich doch darauf aufmerksam machen, daß trotz der Ausführungen des
Herrn v. Bennigsen gewiß 99 Prozent sämtlicher Landwirte Deutschlands
auf meiner Seite stehen und das unterschreiben, was ich gesagt habe. Das
wollen die Herren denn doch bedenken, darum bitte ich und das hoffe ich.“
Reichskanzler Graf v. Caprivi: Warum scheint mir der Bund der
Landwirte bedenklich: Ich habe das schon einmal gesagt. Der Bund könnte
nutzbringend wirken, wenn er zündende Gedanken, lichtvolle Ideen zu Tage
förderte, die er uns gäbe, mit denen wir weiter kämen. Wir würden bereit
sein, sei es nun der Reichskanzler, seien es die Regierungen der Einzel-
staaten, diese Ideen zu ergreifen. Aber ich kann nur wiederholen, davon
haben wir bisher nichts gemerkt.
Ich habe mich gewendet und wende mich auch heute gegen die agi-
tatorische Methode, die eingeschlagen wird. Ich wiederhole heute noch ein-
mal: es ist nicht konservativ, Majoritäten gegen Autoritäten ins Gefecht
zu führen. Es ist nicht Recht, Massen gegen die Autorität der Regierung
ins Gefecht zu führen. Die Regierung muß sich auf große Teile der Be-
völkerung stützen. Wie unsere Parteilage, unsere Verhältnisse einmal sind,
ist es ausgeschlossen, daß eine Regierung, sei es im Reich, sei es in den
Einzelstaaten, sich auf eine einzelne Partei stützt. Auf welche denn, meine
Herren? Sind Sie im stande, der Regierung eine Majorität zu geben,
mit der regiert werden kann? Nein! Also seitdem ich die Ehre habe, im
Amt zu sein, ist uns nichts anderes übrig geblieben, als den Versuch zu
machen, das, was die verbündeten Regierungen für Recht halten, zu er-
reichen mit derjenigen Unterstützung, die für diesen Fall zu haben ist. Ich
habe das ein anderes Mal mit den Worten ausgedrückt: wir werden das
Gute nehmen, wo wir es finden. Das können Sie uns nicht übelnehmen.
Das, was wir Ihnen vorschlagen, halten wir für das Gute, und wir nehmen
die Unterstützung da an, wo sie uns gewährt wird. Daß ich persönlich sie
gern von Ihnen gehabt hätte, das brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Leisten
Sie mir die aber nicht, so suche ich sie wo anders. So sind wir weiter
gegangen; wir sind immer unserem Ziel zugegangen und haben uns durch
nichts irre machen lassen.
Daß der Gedanke, sich auf Majoritäten zu stützen, ein nach meiner
festesten Ueberzeugung durchaus unkonservativer Gedanke ist, der die Ver-
nichtung des konservativen Prinzips zur Folge hat, betone ich nochmals.
Auch das Ansehen des Parlaments muß Schaden leiden, wenn Sie in der
Anwendung dieses unrichtigen Gedankens so weit gehen, daß sie imperative
Mandate annehmen. Wir haben die Herren Abgg. Grafen zu Limburg-=
Stirum und v. Ploetz als Verfechter dieses Gedankens gehört, bei der Ge-
legenheit, als sie jemand angriffen, von dem sie glaubten, daß er dem ihm
erteilten und angenommenen imperativen Mandat nicht nachkäme. Es ist
daher vielleicht nicht überflüssig, wenn ich den Art. 29 der Verfassung vor-
lese; denn wir machen ja alle Tage die Erfahrung, wie sehr — nicht hier
im Hause, aber doch draußen — solche Dinge unbekannt sind. Er heißt:
„Die Mitglieder des Reichstags sind Vertreter des gesamten Volks und an
Aufträge und Instruktionen nicht gebunden.“ Ich bin der Meinung, es
war weise, diesen Artikel in die Reichsverfassung aufzunehmen, um so weiser,
als die Verfassung uns das allgemeine Wahlrecht gab. Ein allgemeines
Wahlrecht mit imperativen Mandaten führt ganz zweifellos auf die schiefe
Ebene, vor der wir jahrelang in der „Kreuzzeitung“ warnen hörten. Das
ist unvermeidlich. Ich habe mir gedacht, daß ein Parlament aus den Besten