Schweiz. (August 7.) 267
Es freut mich, diese imposante Versammlung im Namen des Lokal-
komitees begrüßen zu können. Das was die Borgeeisie längst versprochen,
aber nicht gehalten hat: Friede, Freiheit und die Wohlfahrt Aller zu för-
dern, diese Aufgabe hat sich das internationale Proletariat gestellt. Der
Kapitalismus hat es dahin gebracht, daß Europa in Waffen starrt unter
dem Vorgeben, daß der äußere Feind fern gehalten werden muß. In Wahr-
heit bezweckt aber der Kapitalismus mit der unaufhörlichen Vermehrung des
Militärs: das Proletariat von der Erringung seiner Rechte und Freiheiten
fernzuhalten und es von der Anteilnahme an den Volksreichtümern auszu-
schließen, die das Proletariat selbst erzeugt hat. Der Kapitalismus hat es
verstanden, die Massen im Elend und geistiger Knechtschaft zu erhalten, er
hat die Arbeiter in Hunger und Sorge gestürzt, die Natur sich dienstbar
gemacht. Der Kapitalismus hat die Wälder verödet, den Boden ausgesaugt,
das Klima verschlechtert, die große Dürre, Ueberschwemmungen und ver-
heerende Stürme herbeigeführt, und das Alles nur des Profites halber, um
den Privat-Reichtum der herrschenden Klassen zu vermehren. Dantes Hölle
weist nicht so viel Elend auf, als der Himmel des Kapitalismus. Deshalb
ist es mit großer Freude zu begrüßen, daß das Proletariat der ganzen Welt
sich organisiert hat, um sich die politische Macht zu erobern und den Kapita-
lismus zu beseitigen. Wir wollen, daß alle Menschen gleichmäßig an den
Errungenschaften der Kultur teilnehmen. Der Kongreß bedeutet daher einen
großen Fortschritt, er wird dazu beitragen, die Kraft des Proletariats in
seinem Kampfe gegen die herrschenden Klassen zu stärken. Ich begrüße es
daher mit Freuden, daß die Vertreter des internationalen Proletariats so
zahlreich auf Schweizer Boden erschienen sind. Sie erhalten hier in der
Schweiz mit ihren demokratischen Volkseinrichtungen ein kleines Vorbild
von der Gestaltung der zukünftigen vereinigten Staaten Europas, der der-
einstigen Weltrepublik. Die Ansichten der Delegierten auf diesem Kongreß
werden ja zum Teil auseinandergehen. Die Verschiedenheit der Ansichten
ist jedoch von untergeordneter Bedeutung gegenüber dem großen Gedanken,
der uns Alle beseelt, der Befreiung der Arbeiterklasse. (Stürmischer, lang
anhaltender Beifall.)
Bürkli übersetzte sofort diese, nur im Auszuge wiedergegebene Rede
ins Englische und Französische.
Gegen 1½ Uhr nachmittags gruppierten sich die Delegierten und
Vereine mit ihren Fahnen auf den Plätzen in der Umgebung der Tonhalle.
Pünktlich 2 Uhr setzte sich der lange, unabsehbare Zug mit Musikbegleitung
in Bewegung. Unter einem kolossalen Zulauf des Publikums ging der end-
lose Zug nach dem Kantonsschulplatz. Hier war eine große, rot drapierte
Tribüne errichtet. Eine nach vielen Tausenden zählende Menschenmenge
füllte den Festplatz. Der Vizepräsident des Organisations-Komilees, Redak-
teur Greulich-Zürich, eröffnete das Fest durch eine Ansprache. Alsdann
wurde mit Musikbegleitung eine von Karl Henckel gedichtete, von Jos. Schen-
Wien komponierte Begrüßungshymne vorgetragen. Darauf erfolgten An-
sprachen von dem Parlamentsmitglied John Burns-London, dem Ge-
meinderat Vaillant-Paris, dem Abgeordneten Bebel-Berlin und dem Redak-
teur Turaté-Mailand. Die Redner sprachen sämtlich in ihrer Landessprache.
Die Reden wurden stets sogleich in die drei Hauptsprachen französisch, eng-
lisch und deutsch übersetzt. Nach jedem Redner folgte ein Gesangsvortrag.
Erst gegen 6½ Uhr abends begann unter stürmischen Hochs auf die inter-
nationale Sozialdemokratie der Abmarsch mit Trommelschlag und MufikM-
begleitung.
7. August. Arbeiter-Kongreß.
Die Vormittagssitzung des Kongresses nimmt einen wilden Verlauf.