268 Schweiz. (August 8.—9.)
Vorsitzender war Singer. In Gegenwart vieler Anarchisten und Unab-
hängigen galt es, die Frage zu entscheiden, ob diese Kategorien am Kon-
gresse teilnehmen dürfen. Bebel, von den „Alten“ tnerht von den
„Jungen“ ausgepfiffen, sprach gegen die Zulassung der Anarchisten und der
„Jungen“ Die letzteren seien nichts anderes als Anarchisten. Unter großem
Lärm protestierten die „Jungen“ und die Anarchisten. Cornelsen (Holländer)
verlangt, daß man die Unabhängigen und die Anarchisten ohne weiteres
zulasse. Dies war auch auf dem Brüsseler Kongreß beschlossen, vom Organi-
sationskomitee jedoch nicht durchgeführt worden. (Bebel ruft: Ich protestiere
gegen diese Verdächtigung!) Cornelsen entgegnet, es sei nicht Sache von
Bebel, zu entscheiden, ob die Unabhängigen zur Arbeiterpartei gehören oder
nicht. Für die Zulassung der Anarchisten und Unabhängigen sind auch die
Franzosen. Cohan-Newyork erklärt, die anwesenden Franzosen könnten nicht
als die richtigen Vertreter Frankreichs gelten. (Lebhafte Proteste der fran-
zösischen Anarchisten.) Um 12 Uhr werden die Verhandlungen abgebrochen.
Am Kongreß nehmen auch viele Nihilisten teil.
In der Nachmittagssitzung faßte der internationale Arbeiterkongreß
nach langer, stürmischer Debatte einen Beschluß, wonach die Anarchisten und
die Unabhängigen auszuschließen seien. Es entstand infolgedessen ein furcht-
barer Lärm und eine heftige Schlägerei, wobei Abgeordneter Ullrich-Offen-
bach arg verletzt wurde, Wilhelm Werner-Berlin und der Redakteur des
„Sozialist“ Landauer-Berlin nebst drei schweizer Anarchisten wurden hinaus-
geworfen.
8. August. (Zürich.)
Die Debatten während des Vormittags führten noch nicht zum Be-
ginn der eigentlichen Verhandlungen. Das Präsidium hat im Namen der
französischen Deligierten Argyadere übernommen. Znnächst gelangte ein
Protest der gestern vom Kongreß Ausgeschlossenen zur Verlesung, in welchem
dieselben erklären, daß sie vergewaltigt worden seien. Der Kongreß habe
nicht das Recht, sich internationaler Arbeiterkongreß zu nennen. Ein An-
trag des holländischen Delegierten Nieuwenhues und des belgischen Dele-
gierten Volders, betreffend die nochmalige Erwägung des gestrigen Beschlusses
bezüglich der Fernhaltung der Anarchisten vom Kongreß, wurde abgelehnt.
Nach erfolgter Prüfung der Mandate erklärte der Kongreß 412 derselben
für gültig, und zwar aus England 65, welche 44 Verbände und 70 Branchen
vertreten, Australien 1, Oesterreich 34, Belgien 17, Bulgarien 2, Dänemark 2,
Spanien 2, Amerika 3, Frankreich 38, Holland 6, Ungarn-Kroatien 10,
Rumänien 5, Rußland, Serbien und Norwegen je 1, Schweiz 101, Deutsch-
land 92, Italien 21, Polen 10. Ueber 10 von den Deutschen bestrittene
Mandate wird der Kongreß nachmittags entscheiden.
9. August.
In der „Militärkommission“, die unter Vorsitz des Abg. Singer
(Berlin) tagte, hatten die holländischen Delegierten folgenden Antrag gestellt:
„Der Kongreß beschließt, die internationale Arbeiterpartei einzuladen,
sich bereit zu halten, um unverzüglich auf eine Kriegserklärung durch die
Regierung mit einer allgemeinen Arbeitseinstellung zu antworten überall da,
wo die Arbeiter einen Einfluß auf den Krieg ausüben können und in den
fraglichen Ländern die Kriegserklärung zu beantworten mit einer militä-
rischen Dienstverweigerung.“
Von der sozialdemokratischen Partei Deutschlands war folgender An-
trag gestellt:
„Die Stellung der Arbeiter zum Kriege ist durch den Beschluß des
Brüsseler Kongresses über den Militarismus scharf bezeichnet. Die inter-