I.
Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
1. Januar. Der Kaiser verleiht dem Grafen Waldersee,
kommand. General des 9. Armeekorps, den Schwarzen Adlerorden.
Anf. Januar. Der Kaiser und der König von Würt-
temberg.
In mehreren Blättern wird behauptet, es herrsche eine Verstimmung
zwischen dem Kaiser und dem König von Württemberg; so habe der König
im September vorigen Jahres in Ostpreußen (vgl. Jahrgang 1894 S. 139)
an den letzten Manövertagen nicht mehr teilgenommen und Königsberg
ohne Abschied vom Kaiserpaare verlassen. Der „St.-Anz. für Württem-
berg" konstatiert dem gegenüber (7. Januar), daß der König am letzten
Tage den Manövern beigewohnt und sich angesichts des ganzen Stabes
vom Kaiserpaare verabschiedet hat. Ferner publiziert der „St.-Anz. für
Württemberg“ einen herzlichen Depeschenwechsel zwischen dem Kaiser und
dem König von Württemberg anläßlich des Jahreswechsels.
8. Januar. (Reichstag.) Erste Beratung der Umsturz-
vorlage (vgl. Jahrg. 1894 S. 183, 198). Rede Auers.
Abg. Auer (Soz.): Die Vorlage solle die bürgerliche Freiheit be-
schränken. „Es wird uns schwer werden, die Vorlage ganz leidenschaftslos
zu behandeln; denn wenn wir auch nicht gerade gerädert oder geköpft wer-
den sollen, falls sie angenommen wird — etwas passiert uns, was uns nicht
angenehm sein kann. Denn daß die Vorlage sich nicht gegen die Sozial-
demokraten allein richtet, das glauben wir nicht.“ Auch das Sozialisten-
gesetz" hätte nach Bennigsens Ausführungen im Jahre 1878 sich nicht gegen
bestimmte Parteien richten sollen. Das vom Staatssekretär Rieberding vor-
gelegte Begründungsmaterial aus den sozialistischen Schriften sei nicht be-
weiskräftig; es seien früher von Nichtsozialdemokraten viel schlimmere Dinge
geschrieben worden, so vom Minister Miquel und Ludwig Bamberger. Die
anarchistischen Zitate berührten die Sozialdemokratie nicht. Umsturzbestre-
bungen gäbe es auch außerhalb der Arbeiterpartei, das beweise die Broschüre
von Konstantin Rößler (vgl. Jahrgang 1894 S. 163), der Vorschlag Stöckers
in der „Kr. Ztg.“ die Reichsverfassung durch einen Staatsstreich zu ändern.
In Bezug auf den § 130 sagt der Redner: Gegenüber der Behauptung,
daß ohne Monarchie keine gedeihliche Entwickelung möglich sei, ist festzu-
stellen, daß wir in Deutschland Republiken haben, in denen es ohne Mo-
narchie geht. Ferner gibt es doch auch Monarchen, die auf Thronen sitzen
Europ. Geschichtskalender. Bd. XXXVI. 1