118 Das Beutsche Reich und seine einzeluen Glieder. (Oktober Ende.)
was den Fürsten Bismarck veranlaßt haben mag, gerade in diesem Moment
die Rakete aus der alten Kiste aufsteigen zu lassen. Vielleicht führt uns
die Bemerkung auf den richtigen Weg, daß der ganze Dreibund einen ähn-
lichen Vertrag wie Deutschland mit Rußland treffen könne, und daß sich
eine Erneuerung des Vertrages noch heute empfehle. Das ist Bismarcks
Anschauung, die die Welt gewiß beachten wird, weil es eben die seine ist,
aber sie hat doch nicht mehr so entscheidendes Gewicht, wie frühere Meinungs-
äußerungen des Altreichskanzlers, weil er nicht mehr in die Vorgänge der
neueren Zeit eingeweiht ist; er kann deshalb auch nicht wissen, ob seine
Enthüllungen nicht uns Schaden bringen werden. Er stellt in diesem Ver-
teidigungsartikel die Dinge auf den Kopf, indem er schreibt, die Geheim-
haltung sei weder für Deutschland noch für den Dreibund ein Bedürfnis
gewesen."
„National-Ztg.“: „Was die politische Erörterung in dem vor-
stehenden Artikel betrifft, ist sie großenteils gegenstandslos, so lange man
den angeblichen Vertrag nicht kennt. Keineswegs bloß die Presse der Par-
teien, die vor 1890 dem Reiche unfreundlich und kämpfend gegenüberstanden,
hat die Hamburger Veröffentlichung verurteilt, und auch in dem vorstehen-
den Artikel wird kein verständlicher Zweck derselben angegeben. Trotz der
Nachahmung der Redeweise des Fürsten Bismarck in dem obigen Artikel
bleibt wie der Zweck, so auch der Ursprung der streitigen Veröffentlichung
unaufgeklärt.“
„Germania“: „Die jetzige Regierung darf mit Genugthuung ver-
zeichnen, daß die ganze deutsche Presse — von den „unentwegten"“ journa-
listischen Trabanten des Fürsten Bismarck abgesehen — ohne Unterschied
der Partei in dieser Frage auf ihrer Seite steht; sie wird die maßvolle
und ruhige Haltung der Presse auch darin erkennen, daß bis jetzt noch kein
Blatt zu einem strafrechtlichen Vorgehen gegen den Altreichskanzler oder
gegen den „Sohn seines Vaters“ angeraten hat, wie es Fürst Bismarck
ganz gewiß nicht unterlassen haben würde.“
„Reichsbote“: „Warum wird dieser Vertrag, der bisher als Staats-
geheimnis behandelt wurde, jetzt enthüllt? Auf diese Frage sucht man bis
jetzt vergeblich eine Antwort, da man einen anderen als patriotischen Grund
nicht annehmen möchte. Nach den obigen Auslassungen scheint aber der
Hauptgrund zu sein, zu zeigen, wie gut und weise unter Kaiser Wilhelm I.
Deutschland regiert war, und dann dem Publikum den Schluß auf die
Regierung Kaiser Wilhelms II., die jenen gepriesenen Vertrag nicht erneuert
hat, in den Mund zu legen. Wir müssen eine solche öffentliche Bloß-
stellung unserer Regierung als unpatriotisch entschieden zurückweisen. Diese
Bloßstellung kann die Regierung nicht ertragen, sie muß jetzt darthun, warum
sie den Vertrag nicht erneuert hat.“
„Kons. Korresp.“: „Es liegt uns fern, darüber ein Urteil abzu-
geben, ob diese Erklärung (des Reichs-Anz.) überhaupt nötig war; jeden-
falls aber wäre es wohl besser gewesen, wenn man eine andere Form für
die Erklärung gefunden und die polemischen Spitzen fortgelassen hätte.
Eine „Verletzung strengster Staatsgeheimnisse“, eine „Schädigung wichtiger
Staatsinteressen“, eine Absicht, „das Vertrauen der Mächte in die deutsche
Vertragstreue zu erschüttern“", wird doch wohl — außer im Lager der Bis-
marckhasser — dem großen, um unser Vaterland so hochverdienten Staats-
manne niemand zutrauen!“
Dieselbe Anschauung vertritt die „Schles. Ztg.“
Die „Preußischen Jahrbücher“ (Bd. 86 S. 623) führen in einem
langen Eposé über die Geschichte der letzten 10 Jahre aus, daß das deutsch-
russische Abkommen nicht gegen Oesterreich sondern gegen England gerichtet