142 Jas Neutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. 30.—Dez. 4.)
sort, wo sie 1890 aufgehört haben. Es werden ja vielleicht nicht alle Er-
wartungen erfüllt sein. Vom Standpunkte einzelner Beamtenklassen aus
mag es subjektiv berechtigt sein, daß sie ihre Verwaltung für eine bessere,
ihre Arbeit für eine schwierigere halten. Aber wir müssen dahin streben,
das Besoldungssystem zu vereinfachen und die Zahl der Klassen zu vermin-
dern. Das Opfer, welches für die Verbesserung der Besoldungen gebracht
wird, darf nicht unterschätzt werden, weil dadurch der Pensionsetat ebenfalls
mehr belastet wird. Was der Staat seinen Beamten gibt, wird denselben
immer nur eine bescheidene Lebenshaltung ermöglichen. Der Beamte darf
nicht außer Rechnung lassen, welche Sicherung seiner Stellung in seiner
Pensionsberechtigung und in der Sicherung seiner Hinterbliebenen liegt.
So viel hat der Beamte immer, daß er seine Kinder ähnlichen Stellungen
zuführen kann. Ich gestatte mir zum Schluß die Bitte, den Etat wohl-
wollend zu prüfen. Der Reichstag wird dadurch beitragen, daß in die be-
teiligten Kreise das Gefühl wirtschaftlicher Beruhigung getragen und ein
neuer Anreiz zur richtigen Erfüllung der Pflichten gegeben wird. (Bei-
fall rechts.)
Abg. Fritzen (3.) ist erfreut, zu hören, daß die Handelsverträge
eine günstige Wirkung gehabt haben. In vielen Kreisen herrsche die Sorge,
daß mit dem Rücktritt des Herrn v. Berlepsch (S 88) die Sozialpolitik
stillstehe. Die Ausgaben für die Bekämpfung der Klauenseuche und für
die Pariser Weltausstellung seien zu billigen, bedenklich sei die Anleihe, die
zum größten Teile auf unproduktive Anlagen, wie Heer und Marine, be-
rechnet sei. Die Pensionierungen seien zu sehr angeschwollen, die Sanitäts-
offiziere zu ungünstig gestellt. Vom Marineetat müßten große Abstriche
gemacht werden. Unter den einmaligen Ausgaben befinden sich über 70
Millionen für zweite Raten schon bewilligter und neu geforderter Schiffe.
Von diesen 70 Millionen sind 38,86 aus Anleihen zu decken; das sei aber
darum unrichtig, weil unsere großen Schiffe, weil sie bald ihre Seetüchtig-
keit verlieren, einer ferneren Zukunft nicht zu gute kommen. Nach einer
vorläufigen Vereinbarung mit der konservativen Partei werde das Zentrum
in Gemeinschaft mit dieser gegen die Uebernahme dieser Summe auf die
Anleihe stimmen. Der Reichstag müsse Sparsamkeit walten lassen, um
nicht neue Steuern bewilligen zu müssen. Wir, wenigstens meine politischen
Freunde, wollen uns nicht bis aufs Blut auspressen lassen; wir wollen
nicht Phantomen einer Weltpolitik nachjagen, welche die Kraft und die
Herrlichkeit des alten Reiches zu Grunde richten können.
Staatssekretär v. Bötticher: Die Besorgnis des Vorredners, daß
mit dem Ausscheiden meines verehrten königlich preußischen Kollegen, des
Herrn v. Berlepsch, aus seinem Amt ein Stillstand in der sozialpolitischen
Gesetzgebung eintreten werde, ist durch die Vorlage der Novelle zur Unfall-
versicherung und zur Alters= und Invaliditätsversicherung widerlegt worden.
Ich bin außerdem autorisiert zu versichern, daß keine der verbündeten Re-
gierungen daran denkt, auf diesem Gebiet die Politik zu verlassen, die das
Reich bisher befolgt hat; und wenn wir bei der Fortbildung unserer sozial-
politischen Gesesgebung uns auch ferner von dem Grundsatz leiten lassen,
daß ihre Ausgestaltung keine Verletzung im allgemeinen und der wirtschaft-
lichen Interessen involvieren dürfe, so wissen wir uns mit der überwiegenden
Mehrheit des Hauses einig. Abg. Richter (fr. Bp.): Das Schuldbuch des
Reiches sei ohne neue Steuern geschlossen. Damit sei das Tabaksteuerprojekt
gerichtet. Die Einzelregierungen sollten zur Deckung der militärischen Aus-
gaben, die sie dem Bundesrat leichten Herzens bewilligt hätten, auf die
Ueberweisungen verzichten. Die Zuckerstener und das Verbot des Getreide-
terminhandels habe die Preise gedrückt und die Einnahmen vermindert. Die