Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 3. —7.) 145
Arbeitskräften erhalten hat, auch aus England. So weit reicht die Inter-
nationalität nicht. Die englischen Arbeiter heimsen gern den Gewinn für
sich ein. Der Winter ist vor der Tür, tausende von Arbeitern und ihre
Familien hungern. Die Mittel sind bald erschöpft. Kann man es noch
länger verantworten, die Arbeiter in ihrer Streikbewegung zu unterstützen?
Diese Frage müßte jeder Vaterlandsfreund verneinen. In Bremen war der
Streik gerechtfertigter als in Hamburg, denn die Löhne sind niedriger: aber
die Fürsorge der Arbeitgeber für ihre Arbeiter macht auch diesen Streik
ungerechtfertigt. Gestern ist es gelungen, auf Grund der Propositionen,
welche am ersten Tag die Lagerhausgesellschaft gemacht hat, zu einer Eini-
gung zu kommen. Wer ersetzt aber den Arbeitern ihren Einnahmeausfall?
Hoffentlich findet der Hamburger Streik auch ein schnelles Ende. Ich habe
es anzuerkennen, daß die Arbeiter sich vollkommen korrekt benommen und
keines Exzesses schuldig gemacht haben. Ich habe die korrekte Behandlung
der Angelegenheiten seitens des Senats und der Rhedereikreise ebenfalls
anzuerkennen. Aber wer es gut meint mit der Ordnung, der kann nur
wünschen: Möge dieser Streik bald ein Ende finden! (Beifall.)
Nach weiterer Diskussion dieser Angelegenheit wird der größte Teil
des Etats der Budgetkommission überwiesen.
3. Dezember. Das Preußische Abgeordnetenhaus ge-
nehmigt in zweiter Beratung die Konversionsvorlage und den Gesetz-
entwurf, betr. die Verstaatlichung der Hessischen Ludwigsbahn (An-
nahme in dritter Beratung am 5. Dezember).
4. Dezember. Der Reichstag genehmigt in erster und
zweiter Beratung den Handelsvertrag mit Nicaragua (Annahme
in dritter Beratung am 9. Dezember).
5. Dezember. Das Preußische Abgeordnetenhaus ver-
weist den Gesetzentwurf, betr. die Besteuerung des Gewerbebetriebes
im Umherziehen, an eine Kommission.
7. Dezember. (Berlin.) Schluß des Preozesses Leckert-Lützow.
Nebenregierung im englischen Solde. Urteile der Presse.
In diesem mehrtägigen Prozesse, während dessen der Reichskanzler,
Frhr. v. Marschall und der Botschafter in Wien, Graf Eulenburg, als
Zeugen auftreten, wird nach den Urhebern mehrerer Zeitungsartikel über
Vorgänge in den höchsten politischen Beamtenkreisen geforscht. In dem
Berliner Blatte die „Welt am Montag“" wurde am 28. September be-
hauptet, der zuerst vom Wolff'schen Bureau unrichtig mitgeteilte Zarentoast
in Breslau (S 104) sei von dem Oberhofmarschall Graf Eulenburg, der
im Interesse einer von England beeinflußten „Nebenregierung" handle, aus-
gegangen. Einige Tage darauf brachte dasselbe Blatt die Nachricht, diese
Beschuldigung des Oberhofmarschalls gehe von dem Staatssekretär des aus-
wärtigen Amts Frhr. v. Marschall aus. In dem hierauf gegen den Re-
dakteur der „Welt am Montag“ angestrengten Prozeß wegen Beleidigung
des Herrn v. Marschall und Grafen Eulenburg wird festgestellt, daß der
Kommissar der politischen Polizei Herr v. Tausch die Journalisten v. Lützow
und Leckert benutzt hatte, um diese Nachrichten in die Presse zu bringen.
Ferner wird festgestellt, daß er die erdichtete Nachricht ausstreute, ein Artikel
der „Köln. Ztg." gegen das Militärkabinet (S. 63) und ein früherer der
Europäischer Geschichtskalender. Bd. XXXVII. 10