146 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 7.—9.)
„Münchener Neuesten Nachr.“ über die Militärgerichtsreform (1895
S. 197) sei ebenfalls vom auswärtigen Amte inspiriert. Die Journalisten
Lützow und Leckert werden zu 1½ Jahren Gefängnis verurteilt, mehrere
Redakteure zu geringeren Strafen; Herr v. Tausch wird wegen Verdachtes
des wissentlichen Meineides in Haft genommen.
Die Presse diskutiert den Prozeß und seine einzelnen Phasen auf
das lebhafteste, vornehmlich die Frage, warum Herr v. Tausch durch jene
Ausstreuungen Zwietracht zwischen den Ministerien zu säen suchte, und in
wessen Interesse er seine in erster Linie gegen Herrn v. Marschall gerichteten
Intriguen spann. Der „Vorwärts“, der in dem Prozesse einen Vorboten
der künftigen großen Revolution sieht, wie der Halsbandprozeß der Königin
Maria Antoinette der französischen Revolution vorhergegangen sei, behauptet,
Tausch handle im Dienste der Familie Bismarck. Herr v. Marschall solle
verdrängt und durch Graf Herbert Bismarck ersetzt werden. Diese Unter-
stellung wird von den bismarckfreundlichen Blättern energisch zurückgewiesen.
Manche Stimmen glauben nicht an Hintermänner, eine Vermutung, die
auch der Staatssekretär v. Marschall während seiner Vernehmung äußerte.
Andere erwarten ihre Bloßstellung von dem künftigen Prozesse gegen Tausch.
Anknüpfend an eine andere Aeußerung des Herrn v. Marschall, er müsse
in die Oeffentlichkeit flüchten, um die gegen ihn gerichteten anonymen Be-
leidigungen und Gerüchte fassen zu können, erklären „Hamb. Nachr.“"“,
„Deutsche Tagesztg.“, „Berl. Neueste Nachr.“ u. a., daß eine Ge-
richtsverhandlung nicht angezeigt erscheine, angemessener wäre eine Erledi-
gung der Frage durch ein Disziplinarverfahren im Schoße des Staats-
ministeriums gewesen. Mit Bezug auf diese Ausführungen erklärt der
„Reichs-Anzeiger“: „Wir sind zu der Erklärung ermächtigt, daß die
gegen hochgestellte Personen gerichteten Treibereien bereits in dem am 7. Ok-
tober d. J. in Hubertusstock stattgehabten Kronrate zur Sprache gekommen
sind. Auf den Vortrag, daß als Verfasser des bekannten Artikels der
„Welt am Montag" der Agent der politischen Polizei von Lützow ermittelt
worden sei, haben Seine Majestät der Kaiser schon damals befohlen, daß
die Angelegenheit streng untersucht und nach allen Richtungen hin klar-
gestellt werde."“
7./8. Dezember. Untergang des Lloyddampfers „Salier“ im
Biskayischen Meerbusen mit einer 66 Mann starken Besatzung und
275 (nicht-deutschen) Passagieren.
9. Dezember. Oberst Liebert, Kommandeur des 12. Gren.=
Regiments, wird zum Gouverneur von Ostafrika ernannt. Major
v. Wißmann, der aus Gesundheitsrücksichten den Posten aufgibt,
tritt zur Verfügung des Reichskanzlers.
9./10. Dezember. (Reichstag.) Erste Beratung des Gesetz-
entwurfes, betr. Post-Dampfschiffsverbindungen mit überseeischen
Ländern.
An Stelle der bisherigen vierwöchentlichen Abfertigungen der Dampfer
soll eine solche in Zwischenräumen von je vierzehn Tagen erfolgen. Die
Geschwindigkeit soll von 12½ auf 13 beziehungsweise 13½K Meilen in der
Stunde erhöht werden. Von den Dampfern soll jedesmal der eine von
Bremen über die bekannten Zwischenhäfen bis Hongkong und von dort nach
Shanghai gehen, während der andere von Bremerhaven über die Zwischen-