204 Großbritannien. (Oktober.)
Cyperns als einen billigen Entgelt für die Sicherung des europäischen Kon-
zerts betrachten. Er könne sagen, daß bis vor ganz kurzer Zeit fast alle
Mächte entschieden darin übereinstimmten, einer einseitigen Einmischung
Englands in die Angelegenheiten im Orient mit Gewalt Widerstand zu
leisten, und er habe deshalb nachdrücklich gegen eine Politik protestiert,
welche die Schrecken eines europäischen Krieges heraufbeschwöre, dem die
Ausrottung der Armenier mit Gewißheit vorangehen werde. Redner ver-
weilt längere Zeit bei der Frage des europäischen Konzerts und führt aus,
es müsse das Ziel eines jeden britischen Staatsmannes sein, das Konzert
im Interesse der britischen Politik zu sichern. Mögen nun die Mächte auf
diplomatischem Wege oder in anderer Weise handeln, sie sind in der Orient-
frage allmächtig und können ein Eingreifen, um den Frevelthaten des Sul-
tans ein Ziel zu setzen, nicht viel länger aufschieben. Zu persönlichen An-
gelegenheiten übergehend erklärt Rosebery, die Stellung eines Peers als
Führers der Liberalen sei so anormal, daß es unmöglich sei, dieselbe ohne
die wärmste und aufrichtigste Unterstützung festzuhalten, die er in seinem
Falle vermisse. Er habe seine Kollegen vor seinem Nücktritt von der
Führerschaft nicht um Rat gefragt, da die Ankündigung desselben seit den
Wahlen sich in ihren Händen befunden habe, um in Kraft zu treten, wenn
immer die Einigkeit der Partei es verlange. Das alleinige Ziel sei die
Förderung der Einigkeit der Partei gewesen. Redner rühmt Gladstone,
der, ohne es zu wollen, ihm den Gnadenstoß gegeben habe.
Ueber das englische Friedensbedürfnis sagt der Redner: „Das bri-
tische Reich will den Frieden und es braucht den Frieden. Während der
letzten 20 Jahre, noch mehr während der letzten 12 Jahre haben Sie Ihre
Hände mit nahezu krampfhaftem Eifer auf jedes Ländergebiet gelegt, das
an das Ihrige anstieß oder von irgend einem Gesichtspunkt aus begehrens-
wert für Sie erschien. (Lachen.) Das hatte zwei Ergebnisse; ich möchte
nicht sagen, es war sehr richtig (Lachen); aber es hat zwei Ergebnisse ge-
habt. Das erste Ergebnis ist das, daß Sie bis zu einem nahezu unerträg-
lichen Grade den Neid anderer Kolonialvölker aufgestachelt haben, und daß
in der Beziehung zu viele Länder oder vielmehr einige Länder, welche früher
freundlich zu Ihnen waren, Sie heute, als Ergebnis Ihrer Kolonialpolitik
— ob recht oder unrecht — und ich selbst möchte eher in dieser Beziehung
als ein Sünder angesehen zu werden befürchten — nicht auf Ihr thätiges
Wohlwollen, sondern auf Ihr thätiges Uebelwollen rechnen müssen, und
zweitens, Sie haben eine so gewaltige Masse Territorium gewonnen, daß
Jahre darüber vergehen werden, bevor Sie dasselbe in Ruhe werden ver-
walten und übersehen können, oder bevor Sie es fähig zur Verteidigung
oder geeignet machen könnten für die Künste Ihrer Verwaltung. In 12
Jahren haben Sie dem Reiche zugefügt, sei es in den Grenzen einer zeitigen
Aneignung, sei es einer Oberherrschaft, sei es eines sogenannten Einfluß-
gebietes, 2600000 Geviertmeilen Landes. Während das Gebiet des ver-
einigten Königreichs England, Schottland, Wales, Irland, die Kolonial=
inseln u. s. w. 120000 Quadratmeilen beträgt, haben Sie zu diesen 120000
Quadratmeilen des vereinigten Königtums, das ein Teil Ihres Reiches ist,
haben Sie während der letzten 12 Jahre eine Fläche Landes hinzugefügt,
das 22 mal so groß ist, als das vereinigte Königreich selbst. Ich sage des-
halb, daß dies für manche Jahre eine Politik bedeutet, von der Sie nicht
abgehen können, selbst wenn Sie wollen. Sie mögen genötigt werden, das
Schwert zu ziehen — ich hoffe, es wird nicht der Fall eintreten — aber
die auswärtige Politik von Großbritannien muß unvermeidlich eine Politik
des Friedens bleiben, so lange, bis sein Gebiet konsolidiert, genügend be-
völkert und besiedelt ist.“ — Die konservative Presse billigt durchweg Rose-