Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwölfter Jahrgang. 1896. (37)

Frank- 
reich. 
Mi- 
nister- 
wechsel. 
Bund 
mit 
Ruß- 
land. 
326 Uebersicht der politischen Entwichelung des Jahres 1896. 
Komitee mit einem verantwortlichen Sekretär in London einzusetzen, 
das die Vorbereitungen für den nächsten internationalen Kongreß 
treffen und die Grundlage für die weitere Organisation bilden soll. 
(Vgl. K. Diehl, Sozialismus und soziale Bewegung im 19. Jahrh. 
Preuß. Jahrb, Bd. 87, II.) 
Ein verhältnismäßig ruhiges Jahr hat Frankreich durchlebt. 
Es hat nur eine Ministerkrisis zu verzeichnen, deren Verlauf in- 
sofern von Interesse ist, als sie nicht wie gewöhnlich einem Kon- 
flikt zwischen Kabinett und Kammer, sondern zwischen Kabinett 
und Senat entsprang, während die Majorität der Deputierten 
auf Seite des Ministeriums stand. Das Vertrauen des Senats 
hatte das radikale Ministerium Bourgeois nie besessen, und so 
benutzte der Senat zuerst den Prozeß in der Südbahnangelegen- 
heit, um dem Kabinett sein Mißtrauen auszusprechen, und als 
das nichts fruchtete, verweigerte er ihm gar den Kredit zur Weiter- 
führung der Operationen auf Madagaskar. Obwohl die Haltung 
des Senats von den Radikalen aufs schärfste angegriffen und mit 
Verfassungsrevision, ja mit Revolution gedroht wurde, gab Bourgeois 
den Kampf auf, offenbar in der Ueberzeugung, daß seine Majorität 
auch in der Kammer, wo die Gemäßigten die Oberhand haben, 
nicht zuverlässig, sondern immer nur eine Verlegenheitsmehrheit ge- 
wesen und damit ein Kampf gegen das Oberhaus nicht durchzu- 
führen sei. Ein Hauptstück seines Programms, die Einkommen- 
steuer, war bereits vor seinem Rücktritte gefallen (S. 211). Sein 
Nachfolger Môline nahm zwar die Steuerreform wieder auf, aber 
wenn auch sein Finanzminister Cochéry den Wünschen der Mehr- 
heit sehr entgegenkam und namentlich den verpönten Gedanken einer 
progressiven Einkommensteuer fallen ließ, kam auch er zu keinem 
Resultate: die Kammer lehnte die beantragte Erhöhung der Grund- 
steuer ab und alles blieb einstweilen beim alten (S. 218 ff.). — 
Für die Vorbereitung der Weltausstellung im Jahre 1900 traf die 
Regierung ernstliche Anstalten, und erhielt bereits die Zusage mehrerer 
Mächte, daran teilnehmen zu wollen. 
In der auswärtigen Politik hielt Frankreich treu zu Ruß- 
land, wie wir bereits in der egyptischen und türkischen Frage sahen. 
Positive Resultate hat zwar das Zusammengehen beider Mächte für
	        
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