Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwölfter Jahrgang. 1896. (37)

38 Das PDenische Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 27.) 
Abg. Dr. Dittrich (3.) fordert Aufhebung des Falk'schen Erlasses 
vom Jahre 1876 über die Beaufsichtigung des Religionsunterrichts in den 
Volksschulen. Der Kirche allein müsse das Recht, die Lehre zu bestimmen 
zustehen. Abg. v. Eynern (nl.) zitiert heftige Angriffe auf die evange- 
lische Kirche und die Reformatoren aus Flugschriften, die in Berlin im 
Verlage der „Germania“ erschienen sind. Abg. Porsch (3.) lehnt die Ver- 
antwortung des Zentrums dafür ab und tadelt die Angriffe des Pastor 
Thümmel auf die Katholiken. — Die Forderung des Abg. Motty (Pole), 
den geistlichen Schulinspektoren die Entscheidung zu überlassen, ob die 
Kinder dem deutschen oder polnischen Religionsunterrichte zuzuweisen seien, 
lehnt Kultusminister Dr. Bosse ab, ebenso den Wunsch auf Zulassung 
polnischer Orden. 
Am folgenden Tage beklagt Abg. Bachem (3.) die Disparität auf finan- 
ziellem Gebiete z. B. in den Gehältern der Geistlichen. Kultusmin. Dr. Bosse: 
Die statistischen Vergleiche haben etwas Mißliches, weil dabei die Bedürfnisse 
einer Kirche, ihre historische Entwickelung nicht berücksichtigt werden können. 
Aber aus solchen unberechtigten Vergleichen können die tiefsten Verstimmungen 
folgen. Das ist der Eindruck, den ich gewonnen habe von dieser Aufstellung, die 
neues Oel in das Feuer gießt. Wenn man die Kapitel im ganzen zusammenhält, 
so erhalten die Evangelischen 3 Millionen, die Katholiken müßten aber danach 
1½ Million erhalten, sie erhalten aber 2⅛½ Millionen. Um dieses Ergebnis zu 
beseitigen, zieht Herr Bachem die Dotation der katholischen Kirche ab, die 
sich jeder Prüfung entzieht. Die evangelische Kirche hat keine Dotation, 
sondern muß sich bei jeder Anforderung der parlamentarischen Kontrolle 
unterwerfen. Die Stolgebühren kann man der evangelischen Kirche nicht 
anrechnen; wir haben den Bischöfen das Geld angeboten, wenn sie es für 
dieselben Zwecke verwenden wollten; aber sie haben es nicht angenommen! 
Die katholische Kirche hat nun einmal keine Pfarrerwitwen und -Waisen, 
sie kann also dafür kein Geld verlangen. Von 1823 —1896 sind gezahlt 
an die evangelische Kirche 122 Millionen Mark, an die katholische aber 
179 Millionen, während sie nur 61 Millionen hätte bekommen dürfen, oder 
man kann sagen, die evangelische Kirche hat in dieser Zeit 238 Millionen 
zu wenig erhalten. Diese Zahlen sind überraschend, noch überraschender 
ist aber, daß die evangelische Kirche sich niemals über Imparität beklagt 
hat, und die Parität hat die katholische Kirche nicht abgehalten, ohne weiteres 
dieses Plus anzunehmen. 
Die 2. Lesung des Kultusetats dauert bis zum 11. März. Es wird 
vorzugsweise debattiert über die Stellung der Volksschule, Religionsunter- 
richt, polnische und deutsche Sprache in der Volksschule, Lehrfreiheit an den 
Universitäten, Medizinalwesen, Erlaß des Oberkirchenrats (1895, S. 204) 
und lokale Beschwerden. Die Hauptredner sind außer dem Minister die 
Abgg. v. Jazdziewski (Pole), Dauzenberg (3.), Dasbach (3.), v. Eynern (nl.), 
Sattler (nl.), Bartels (kons.), v. Heydebrand (kons.), Stöcker (b. k. P.). 
(Vgl. Genest, konfessionelle Verhältnisse im höheren Lehrerstande. Deutsch- 
evangelische Blätter 1896.) 
27. Februar. Gerichtsverfahren in den afrikanischen 
Schutzgebieten. 
Der Reichskanzler erläßt auf Grund einer Allerhöchsten Verordnung 
folgende Verfügung: „In dem Gerichtsverfahren über Eingeborene sind zur 
Herbeiführung von Geständnissen und Aussagen andere als die in den 
deutschen Prozeßordnungen zugelassenen Maßnahmen untersagt. Ingleichen 
ist die Verhängung von außerordentlichen Strafen, insbesondere von Ver- 
dachtsstrafen, verboten."“
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.