54 Das Denishhe Reich und seine einzelnen Glieder. (April 1.)
Der weitaus wichtigste Gegenstand, den Sie in dieser Session zu
beraten hatten, war der Gesetzentwurf wegen Aenderung der gesetzlichen
Bestimmungen über die Wahlen zur Zweiten Kammer. Die Einmütigkeit,
mit der Sie dieser Gesetzesvorlage Ihre verfassungsmäßige Zustimmung
erteilt haben, erfüllt Mich mit lebhafter Genugthuung und befestigt Mich
in der Ueberzeugung, daß Meine Regierung, indem sie der aus der Mitte
der Volksvertretung hervorgegangenen Anregung folgte, einem auch in
zahlreichen Bevölkerungskreisen je länger je mehr empfundenen Bedürfnisse
Rechnung getragen hat. Ich vereinige Mich mit Ihnen in dem Wunsche,
daß die veränderten Bestimmungen Meinem Sachsenlande dauernd zur
Wohlfahrt gereichen mögen.
1. April. (Friedrichsruh.) Gelegentlich eines ihm von
den Hamburgern dargebrachten Fackelzuges hält Fürst Bismarck
folgende Rede:
„Meine Herren, das Wohlwollen der Nachbarn ist für das Leben
des deutschen Christen nach dem lutherischen Katechismus ein Bedürfnis,
und ich bin sehr erfreut, daß ich mich des Wohlwollens meiner hamburgi-
schen Nachbarn seit so langer Zeit unentwegt erfreue, ohne es inzwischen,
wie so manches andere Wohlwollen, verloren zu haben. Ich freue mich,
daß Sie durch Ihre heutige Begrüßung die Fortdauer dieses nachbarlichen
Wohlwollens mir gegenüber bethätigen. Ich sehe darin einmal eine An-
erkennung meiner früheren Leistungen, die für mich ja besonders schmeichel-
haft und wohlthuend ist, dann aber auch macht es mir als deutschem Staats-
bürger eine besondere Freude, daß die Hauptstadt unseres Reichsantheils
hier, so kann ich Hamburg doch wohl nennen, gedeiht und blüht, und ich
sehe in dem Gefühle, daß es so ist, auch inneren Anlaß zu der Begrüßung,
die Sie mir mit Bezugnahme auf die vergangenen Jahrzehnte erweisen.
Hamburg ist für das ganze Stromgebiet der Elbe die entscheidende Haupt-
stadt, und wenn es Hamburg gut geht, so geht es dem ganzen Elbgebiete
wenigstens nicht schlecht (Heiterkeit, Bravol) Es ist das auch einigermaßen
gegenseitig: eine Handelsstadt prosperiert am besten, wenn ihr Hinterland
reich wird und wohlhabend ist. Eine Handelsstadt in einer armen Küsten-
gegend wird nie die Entwickelung haben, wie eine solche, die wie Hamburg
ein großes reiches Hinterland hinter sich hat, und von dieser Ueberzeugung
komme ich zu der Gewißheit, daß die Trennung berufständischer Interessen,
die neuer Zeit in der Presse und Parteikämpfen üblich ist, unberechtigt ist.
Wir arbeiten alle in derselben Richtung: der Kaufmann, der Industrielle,
der Landwirt. Wenn unser Land zurückgeht, so leiden wir alle, und wenn
es vorwärts geht, so gewinnen wir alle und fühlen uns alle behaglich, und
nun kann ein Land nicht vorwärts gehen, bei dem ein sehr großer Anteil
der Bevölkerung rückwärts geht in seiner Wohlhabenheit und seinem Be-
hagen. Das Gedeihen von Hamburg wirkt befruchtend auf das ganze Elb-
gebiet, aber das Gedeihen des ganzen Elbgebietes, auch des landwirtschaft-
lichen und industriellen, wirkt auch wiederum fördernd auf Hamburg, und
Hamburg, so groß wie es ist — auf dem Kontinent ja das größte Emporium —,
würde doch auch darunter leiden, wenn das Oberland, das Hinterland von
Hamburg, das Gebiet im übrigen, zurückginge, und deshalb sage ich nicht
bloß aus nachbarlicher Liebe und Dankbarkeit für alles Wohlwollen, was
mir von hamburgischer Seite, seit ich hier dauernd wohne, stets bezeigt
worden ist, lediglich aus materiellen Interessen sage ich: Gott fördere Ham-
burg, und möge es blühen und gedeihen, so daß es die fruchtbringenden
Strahlen seines eigenen Wohlseins auch auf das Hinterland ausübt, und