76 Nas Peutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 18.—19.)
könnte der Herr Kriegsminister oder der Herr Reichskanzler durch eine
bindende Erklärung beitragen, die Stimmung des Reichstages zu verbessern.
Der Kern der Reform sei Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens,
hierauf beständen seine Freunde unbedingt. Durch die Vorlage dürfe die
zweijährige Dienstzeit unter keiner Bedingung gefährdet werden.
Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst: Der Herr
Abg. Lieber hat sich über den langsamen Gang der Arbeiten der Reform
der Militär-Strafgerichtsordnung beklagt und den Wunsch ausgedrückt, über
diesen Gegenstand eine bindende Erklärung vom Tische des Bundesrats aus
zu erhalten. Obgleich ich nun einen inneren Zusammenhang zwischen der
Ihrer Beratung unterstehenden Vorlage und der Militär-Strafgerichtsord-
nung nicht anzuerkennen vermag, so bin ich doch bereit, die Anfrage des
Herrn Vorredners zu beantworten. Es ist seit lange allgemein anerkannt,
daß unsere Militär- Strafgerichtsordnung der Verbesserung bedarf, und daß
die deutsche Armee ein einheitliches Strafgerichtsverfahren nicht entbehren
kann. Dies hat dazu geführt, daß schon vor längerer Zeit, wie Sie wissen,
mit der Ausarbeitung einer neuen Militär-Strafgerichtsordnung begonnen
worden ist. Der Entwurf einer solchen ist nunmehr so weit vorbereitet,
daß ich die bestimmte Erwartung hegen darf, denselben im Herbst dieses
Jahres den gesetzgebenden Körperschaften des Reichs vorlegen zu können.
(Lebhafter Beifall.) Derselbe wird — vorbehaltlich der Besonderheiten,
welche die militärischen Einrichtungen erheischen — auf den Grundsätzen
der modernen Rechtsanschauungen aufgebaut sein. (Bravol) Im übrigen
muß ich es selbstverständlich ablehnen, Näheres über den Inhalt des Ent-
wurfs mitzuteilen, so lange derselbe nicht im Bundesrat zur Annahme ge-
langt ist. (Bravol)
Abg. Richter (frs. Vp.): Seine Partei mache die Zustimmung von
der dauernden Festlegung der zweifährigen Dienstzeit abhängig. Abg. v.
Vennigsen (nl.), v. Kardorff (RP.), v. Liebermann (Antif.) und
v. Podbielski (kons.) sprechen fürl die Vorlage, die hierauf an die Budget-
kommission verwiesen wird. (Vgl. hiergu v. Lesczynski, die Armeeorgani-
sation des Grafen Caprivi, „Deutsche Revue“ 1896, Juli.)
18. Mai. Das Preußische Abgeordnetenhaus genehmigt
mit großer Majorität einen Antrag Wallbrecht auf Errichtung
von Ortsstatuten zur Sicherstellung der Forderungen für Lieferungen
und Arbeiten bei Bauten.
19. Mai. (Reichstag.) Kolonialpolitik. Bewilligung eines
Nachtrags zum Etat für das Südwestafrikanische Schutzgebiet.
Es werden gefordert 2 Mill. Mark für folgende Ausgaben: l. Fort-
dauernde: Besoldung der Schutztruppe, die um 400 Köpfe verstärkt werden
soll, 433539 /0; für Farbige 25000 —, für sachliche und vermischte Aus-
gaben 1159 400 (4; II. Einmalige: für Neubauten und Beschaffung der
inneren Einrichtung 2c. 100000 , und für die Ausreise des Verstärkungs-
transports 150000 K; III. Reservefonds zu unvorhergesehenen Ausgaben
132061 4“
Direktor der Kolonialabteilung Dr. Kayser motiviert die Forderung
mit dem neu ausgebrochenen Aufstande, der zum Teil auf die Niederlagen
der Europäer in anderen Gegenden Afrikas zurückzuführen sei. Bei der
vorzüglichen Verwaltung des Majors Leutwein blühe das Schutzgebiet immer
mehr auf. Abg. Richter (frs. Vp.): Bei der Unfruchtbarkeit der Kolonie
sei alles Geld, das man dafür bewillige, verloren. Für die Bewilligung