Das Denische Reith und seine einzeluen Glieder. (Mai 17.) 93
ung fordert, reicht nicht an das Maß von dem hinan oder geht nicht über
das hinaus, was anderweit in Deutschland Rechtens ist. So gibt das
badische Gesetz von 1867, welches doch wohl nicht aus einer Zeit der Re-
aktion herrührt, der Staatspolizeibehörde das Recht, Vereine zu schließen,
welche den Staatsgesetzen oder der Sittlichkeit zuwiderlaufen, welche den
Staat oder die öffentliche Sicherheit gefährden, und Versammlungen aus
denselben Gründen im voraus zu schließen. Ich darf ferner auf Artikel 19 Nr. 5
und 6 des bayerischen Vereinsgesetzes hinweisen, welcher bestimmt: „Jede
Polizeibehörde ist befugt, Vereine zu schließen, welche die religiösen, sitt-
lichen und gesellschaftlichen Grundlagen des Staats zu untergraben drohen,
oder wenn ihre Zwecke oder Beschlüsse den Strafgesetzen zuwiderlaufen“;
und auf § 12 des sächsischen Vereinsgesetzes, nach welchem bei dringender
Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit Versammlungen,
sowie öffentliche Auf= und Umzüge und Festlichkeiten verboten werden
können. Herrschen denn nun in Bayern, Sachsen, Baden oder in anderen
deutschen Staaten mit ähnlichen Bestimmungen — ich könnte Hamburg
nennen — unerträgliche Zustände? Ich glaube, daß das nicht behauptet werden
kann. Was im übrigen die Einzelheiten der Vorlage anlangt, so wird
mein Kollege, der Herr Minister des Innern, Gelegenheit finden, im Laufe
der Debatte auf den materiellen Inhalt der Novelle näher einzugehen.
Meinerseits will ich mich nur noch auf die Bemerkung beschränken, daß es
der Staatsregierung selbstverständlich fernliegt, das verfassungsmäßige Ver-
sammlungs= und Vereinsrecht in Preußen an sich irgend anzutasten. Vor
einem solchen unbegründeten Vorwurf sollte mich schon meine eigene poli-
tische Bergangenheit schützen. Ich werde mich freuen, wenn das hohe Haus
die Bestimmungen der vorliegenden Novelle einer eingehenden Prüfung
unterzieht; Sie werden dann finden, daß es sich hier nicht um einen will-
kürlichen Eingriff in das gewährleistete Vereins= und Versammlungsrecht
handelt, sondern um eine Ausgestaltung desselben im Sinne unserer Ver-
fassung, entsprechend den Bedürfnissen der Zeit. (Lebhafte Zustimmung
rechts! Zischen linksl)
Abg. Dr. Kraufe (nul.): Das Verbot des Inverbindungtretens poli-
tischer Vereine sei eine durchaus veraltete und unnütze Einrichtung, für
deren Beseitigung man keine Kompensationen verlangen könne. Es scheine,
als wenn Preußen sich von kleinen Bundesstaaten den Rang ablaufen
lassen wolle. Trotz großer Bedenken gegen das Gesetz seien die National-
liberalen für eine Kommissionsberatung. Man dürfe die Entscheidung der
Frage, ob eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vorliege, nicht unter-
geordneten Organen anvertrauen. Die Vorlage biete kein geeignetes Mittel
zur Bekämpfung des Umsturzes, sondern könne auch im Kampfe gegen den
Umsturz stehende Ordnungsparteien nur mit der Sorge erfüllen, daß man
auch gegen sie die angestrebten Polizeimaßregeln anwenden werde. Abg.
v. Heydebrand u. d. Lasa (kons.): Die Konservativen seien einstimmig
für die Vorlage. Einzelne ihrer Bestimmungen seien verbesserungsbedürftig,
aber von einer Gefährdung der bürgerlichen Freiheit dürfe man nicht
sprechen. In anderen deutschen Staaten beständen weit schärfere Vorschriften.
Minister des Innern v. d. Recke: Die Vorlage entspreche dem Wunsche
des Volkes. Abg. Dr. Fritzen (3Z.): Die Vorlage habe mit ihren rückschritt-
lichen Tendenzen große Beunruhigung im Volke hervorgerufen. Es sei nichts
vorgefallen, was eine solche Verschärfung der gesetzlichen Bestimmungen
rechtfertigen könne. Der Ausschluß der Minderjährigen sei verfehlt, da die
Sozialdemokratie nicht so sehr in Versammlungen, als vielmehr in der
Werkstatt und in kleinen Konventikeln agitiere. Den katholischen und
evangelischen Vereinen für junge Leute würde durch die Vorlage jede poli-