94 V#s esche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 18.)
tische Diskussion verboten sein. Wieviel Elementarlehrer haben wir unter
21 Jahren! Diese Lehrer seien doch auf dem Lande die einzigen, welche
den sozialdemokratischen Bestrebungen entgegenzutreten vermögen. Abg.
Frhr. v. Zedtlitz (frkons.): Die Minderjährigen gehörten nicht in die
Versammlungen. Die jungen Leute, welche erst noch in das Heer eintreten
sollen, sollten nicht dem vergiftenden Einfluß der sozialdemokratischen Ver-
sammlungen ausgesetzt sein. Seine Partei habe das Vertrauen zu der
Regierung, daß sie die Vorschriften gesetzmäßig ausführen werde, daher
bewillige sie die zur Abwehr der Sozialdemokratie nötigen Verschärfungen.
Abg. Rickert (frs. Vg.): Die Vorlage sei nicht volkstümlich und schädlich.
Gerade in Sachsen und Hamburg, wo die schärfsten gesetzlichen Bestimmungen
beständen, gäbe es die meisten Sozialdemokraten.
Am 18. Mai wendet sich Abg. Stöcker (wild) gegen die Vorlage,
die die beginnende Spaltung unter den Sozialdemokraten verhindern werde.
Das Verbot, daß Minderjährige Versammlungen beiwohnen, beraube die
Studenten der Möglichkeit sich politisch zu schulen. — Der Entwurf wird
an eine Kommission von 28 Mitgliedern verwiesen.
18. Mai. (Reichstag.) Beratung über die reichsgesetzliche
Regelung des Vereinswesens.
Mitglieder der Linken, des Zentrums und der Antisemiten stellen folgen-
den Antrag: „Inländische Vereine jeder Art dürfen miteinander in Verbin-
dung treten. Entgegenstehende landesgesetzliche Bestimmungen sind aufgehoben."“
Abg. Rickert (frs. Bg.): Man wolle in Preußen ein Umsturzgesetz
schlimmster Art einführen. Dazu habe man in Preußen nach dem Geiste
der Reichsverfassung kein Recht. Die Partikulargesetzgebung auf dem Ge-
biet des Vereins= und Versammlungsrechts sei nur vorläufig aufrecht er-
halten worden, und der Reichstag habe wiederholt die reichsgesetzliche
Regelung dieser Materie gefordert. Das vom Reichskanzler am 27. Juni
1896 gegebene Versprechen müsse endlich erfüllt werden. Staatssekretär
v. Bötticher: Das Recht der Einzelstaaten, trotz des Artikels 4 der Reichs-
verfassung auf dem Gebiete der Vereinsgesetzgebung vorzugehen, lasse sich
ernstlich so lange nicht bestreiten, als das Reich diese Gesetzgebung nicht
selbst in die Hand genommen habe. Im Hinblick auf die in Hamburg,
Bayern, Baden, Sachsen bestehenden Vereinsgesetze trage die preußische Vor-
lage gerade dazu bei, die Reichseinheit zu erhöhen. Den vorliegenden An-
trag könne der Bundesrat nicht annehmen. Abg. Dr. Lieber (3.): Die
preußische Vorlage könne keinesfalls als eine Einlösung des seiner Zeit
vom Reichskanzler dem Reichstage gemachten Versprechens gelten. Der
vorliegende Antrag sei daher ein Akt der Notwehr. Abg. Singer (Soz.):
Die einzige Gefahr, die den Staat bedrohte, seien die preußischen Junker.
Man solle den Nachtragskredit nicht eher bewilligen, als bis dieser Antrag
vom Bundesrate angenommen sei. Bei einem Konflikt mit der Regierung
könne der Reichstag nur gewinnen. Minister v. Bötticher: Die Gefahr
eines Staatsstreiches liege nicht vor, wie Abg. Singer behaupte; weder der
Reichskanzler noch er trügen sich mit solchen Gedanken; Abg. v. Levetzow
(kons.) protestiert gegen die abfällige Beurteilung des preußischen Landtags.
Abgeordneter v. Kardorff (RP.): Das allgemeine Wahlrecht könne nur
bei einer gewissen Beschränkung des Vereins= und Versammlungsrechts
aufrecht erhalten werden. Abg. Nichter (frs. Vp.) greift den Reichskanzler
und die Regierung scharf an, die jeden Halt verloren habe und unter Vor-
mundschaft des Herrn v. Stumm stehe. Er schließt: Wo ist heute ein ein-
heitlicher, zielbewußter Wille, der nicht von plötzlichen Launen getragen
wird? Wo ist eine Garnitur von Ministern, die ihre Meinung vertreten;