66 Jaos Dentsqhhe Reich und seine einzelnen Elieder. (März 18./20.)
forderungen für die Marine beurteilt werden. Unsere Industrie hat seit
dem Jahre 1870, insbesondere aber seit der Zollgesetzgebung von 1879 einen
außerordentlichen Aufschwung erfahren, und unser Warenexport spielt jetzt
für das wirtschaftliche Leben der Nation eine höchst bedeutsame Rolle.
Diesen Thatsachen müssen wir Rechnung tragen, einerseits, indem wir uns
bemühen, die Möglichkeit des Exports auf friedlichem Wege zu sichern,
andererseits aber auch, indem wir Vorsorge treffen, daß es niemand als
eine leichte Aufgabe betrachten darf, die freie Fahrt auf unseren Meeren
und in unseren Häfen zu stören. So folgt auch hieraus die Notwendig-
keit einer leistungsfähigen Flotte, eine Notwendigkeit, die noch verstärkt
ist durch den Erwerb und die Gründung unserer Kolonien. Der Begriff
einer leistungsfähigen Flotte in diesem Sinne kann der Natur der Sache
nach kein absolut feststehender sein; er wird sich verschieben mit den Fort-
schritten der Technik und mit dem Anwachsen der Kriegsflotten anderer
Mächte. Wir können uns der Einsicht nicht verschließen, und ich glaube,
daß die Mehrheit von Ihnen diese Meinung teilt, daß unsere Flotte heute
nicht stark genug ist, um gegebenenfalls die ihr zufallende Aufgabe zu lösen.
Aber man hat Bedenken wesentlich aus finanziellen Gründen gegen das
Tempo, in welchem die Verstärkung der Flotte erfolgen soll. Gewiß, meine
Herren, die Aufwendungen, welche eine moderne Flotte erfordert, find sehr
bedeutend. Ich richte indes an Sie die dringende Bitte, gegenüber den
Etatsforderungen diesen Bedenken nicht Raum zu geben; denn, meine
erren, wir befinden uns in der Notwendigkeit und werden uns voraus-
ichtlich für lange Zeit hinaus in der Notwendigkeit befinden, daß wir
jederzeit zu Lande wie zu Wasser vollkommen gerüstet sein müssen. Diesem
Zwange können wir uns nicht entziehen. Es fragt sich nun: Geht das,
was die verbündeten Regierungen heute von Ihnen fordern, über die finan-
ziellen Kräfte des Landes hinaus? Haben wir die gebotene Rücksicht auf
die Finanzen außer acht gelassen? Ich glaube, die günstige Finanzlage,
wie sie sich nach dem Etatsentwurf darstellt, berechtigt mich, diese Frage
absolut zu verneinen. Es ist ja das gute Recht des Reichstags, auf Spar-
samkeit in der Verwaltung hinzuwirken; aber ich möchte davor warnen,
die Sparsamkeit gegenüber den Anforderungen für die Stärkung der Wehr-
kraft zu weit zu treiben. Nichts könnte uns im Ernsftfalle kostspieliger
werden, als eine zu schwache unfertige Flotte, die zu nichts da sein würde,
als sich heldenmütig in den Grund bohren zu lassen. Wir müssen eine
Flotte haben, die unsere Küsten zu schützen im stande ist, indem sie auf
hoher See dem Angreifer die Spitze bietet. Das ist das Ziel, welches wir
erstreben; je schneller wir es erreichen, desto größer wird das Gewicht sein,
welches wir zur dauernden Aufrechterhaltung des Friedens in die Wag-
schale zu werfen vermögen.
Staatssekretär des Auswärtigen Amts Frhr. Marschall v. Bieber-
stein: Meine Herren, die parlamentarische Vertretung des Marineetats,
insbesondere des Neubaues von Schiffen, hat bei uns in Deutschland mit
gewissen Schwierigkeiten zu rechnen, die anderwärts nicht bestehen, — nicht
als ob die verbündeten Regierungen außerordentliche Forderungen in den
Etat eingestellt hätten; das wird gar nicht behauptet, auch die Notwendig-
keit der Forderung ist ernstlich nicht bestritten. Man macht finanzielle
Bedenken geltend. So sachlich die Ausführungen des Herrn Berichterstatters
in dieser Beziehung gewesen sind, er wird mir vielleicht das eine zugeben,
daß für die Regierungsvertreter beim Marineetat der Hauptkampf auf
einem anderen Gebiete zu führen ist. Wir haben anzugehen gegen mancherlei
Stimmungen, gegen Befürchtungen über zukünftige Flottenpläne und
zukünftige Flottenzwecke, damit wird das Beweisthema einigermaßen ver-