Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 2.—4.) 111
Koalitionsfreiheit. Wir sind für Freizügigkeit, Preßfreiheit und Versamm-
lungsfreiheit. Wir wollen eine innere Politik, welche die Macht des deut-
schen Volkes stärkt durch Hebung des Bauernstandes, durch Bauernkoloni-
sation und genossenschaftliche Bildungen. Wir wollen dem noch lebens-
fähigen Handwerk und dem Kleinhandel durch Förderung ihres Kredits,
ihrer berufsmäßigen Ausbildung, ihres genossenschaftlichen Zusammenschlusses
Kräfte geben. Wir wollen die Blüte der deutschen Industrie, auf der gegen-
wärtig die wirtschaftliche Macht unseres deutschen Vaterlandes ruht, und
sind darum für Handelsverträge, die den stetigen Gang ihrer Entwickelung
ermöglichen. An der Blüte der deutschen Industrie hängt zugleich das
Wohl des deutschen Arbeiterstandes. Wir wollen für die Arbeiter Ausbau
der Versicherungsgesetze und des Arbeiterschutzes, Sicherung ihres Koalitions-
rechts, Stärkung ihrer Gewerkschaften. Wir sind für eine gerechte Fort-
bildung der Steuerverfassung im Sinne einer höheren Belastung der stär-
keren Schultern durch Einkommen-, Vermögens- und Erbschaftssteuern.
Für die kleinen und mittleren Beamten erstreben wir Besserung ihrer
Stellung, Regelung ihrer Dienst- und Ferienzeit. Die Macht der Nation
ruht in dem Wachsen und Gedeihen aller ihrer Glieder. Darum: wer
national ist, der muß auch sozial sein. Mit dieser Losung gehen wir in
den bevorstehenden entscheidungsschweren Reichstagswahlkampf. Wir folgen
dem Ruf des Vaterlandes. Wir thun unsere Pflicht, wie groß oder wie
klein unser Erfolg sein möge. Helft uns! Helft uns mit Geld, mit
Agitation, mit Euren Stimmen! Wir kämpfen für eine gerechte Sache.
Wir kämpfen für Kaiser und Reich.
2. Mai. Der Reichstag genehmigt die auf der inter-
nationalen Sanitäts-Konferenz zu Paris am 3. April 1894 unter-
zeichnete übereinkunft sowie die Zusatzerklärungen dazu (Staats-
archiv Bd. 61), den Gesetzentwurf, enthaltend Änderungen des Ge-
setes über die Naturalleistungen für die bewaffnete Macht im
Frieden, den Gesetzentwurf, betr. Änderungen der Konkursordnung,
sowie den vom Abg. Dr. Bachem (Z.) beantragten Gesetzentwurf
wegen Änderung des Zolltarifs (Verzollung der Pongees).
3. Mai. Das preuß. Abgeordnetenhaus genehmigt ein-
stimmig folgenden Antrag Gamp über die Sonntagsruhe:
Die Regierung zu ersuchen, die zur Ausführung der reichsgesetzlichen
Bestimmungen über die Sonntagsruhe erlassenen Verordnungen nach der
Richtung hin einer Revision zu unterziehen, daß dabei die wirtschaftlichen
Interessen der Bevölkerung, insbesondere der Gewerbetreibenden, mehr als
bisher Berücksichtigung finden.
3. Mai. Der Reichstag genehmigt die Novelle zur Civil-
prozeßordnung.
4. Mai. (Reichstag.) Dritte Beratung des Gesetzentwurfs
über die Militär-Strafgerichtsordnung. Annahme. Stellung der
Parteien. Hohenlohe über die Stellung Bayerns. — Annahme
des Einführungsgesetzes.
Abg. v. Levetzow (kons.): Meine politischen Freunde haben die
Notwendigkeit einer Aenderung der Militär-Strafgerichtsordnung bezweifelt,