Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

112 Das Dentsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 4.) 
namentlich weil die militärischen Kreise eine Aenderung nicht wünschten, 
weil sie darin eine Lockerung der Disziplin erblickten. Wir werden aber 
die Zustimmung zu der Vorlage erteilen, wenigstens der größte Teil meiner 
Freunde, wenn die vorgeschlagenen Kompromißanträge zur Annahme ge- 
langen. Abg. Frohme (Soz.): Der Entwurf entspreche nicht modernen 
Anschauungen. Durch die Betonung einer besonderen Offiziersehre setze 
man die bürgerliche Ehre herab. Für das Strafverfahren fehle es wegen 
der eigentümlichen Besetzung der Gerichte an den nötigen Garantien der 
Unabhängigkeit. Die Verteidigung sei beschränkt; man werde nicht nur 
sozialdemokratische Rechtsanwälte davon ausschließen, sondern auch Anhänger 
anderer, nicht militärfreundlicher Parteien. Dazu komme die Beschränkung 
der Berufung, die Frivolitätsstrafe, die gänzliche Nichtachtung des Rechts 
der Notwehr etc. Die Einheitlichkeit des Gerichtsverfahrens und der Gerichts- 
organisation könnten die Sozialdemokraten nur zugestehen, wenn damit zu- 
gleich eine freiheitliche Reform verbunden wäre. Die partikularistischen 
bayerischen Bestrebungen seien nur der Ausdruck des Widerspruchs gegen 
die preußische Reaktion, der man überall mit Mißtrauen begegne, gegen 
den preußischen Geist, der sich mit Heucheleien und Unwahrheiten geriere. 
Für alles, was am Volke gesündigt worden sei, werde das Volk am Wahl- 
tage die Rechnung aufstellen. Abg. Bassermann (nl.): Die Ausführungen 
des Vorredners seien übertrieben. Das Gesetz weist gewaltige Fortschritte 
auf: es bringt die Mündlichkeit des Verfahrens, die Unmittelbarkeit der 
Beweisaufnahme, das System der freien Beweisführung, die Unabhängig- 
keit und die Ständigkeit der Richter, sowie ein einheitliches Verfahren. 
Das sind so wichtige Errungenschaften, daß wir Bedenken in weniger wich- 
tigen Punkten zurückstellen müssen. Das Gesetz wird nicht den Reichs- 
verdruß stärken, sondern die Nation wird uns danken, daß wir in richtiger 
Maßhaltung mit der Regierung zusammengegangen sind. Abg. Hauß- 
mann (südd. Vp.): Trotz einiger Fortschritte sei das Gesetz unannehmbar, 
weil die Oeffentlichkeit nicht genügend gewahrt sei. Abg. Gröber (Z.) 
für das Gesetz und polemisiert gegen den Vorredner, der an den Beratungen 
des Gesetzes nicht teilgenommen habe. Abg. Richter (frs. Vp.) für das 
Gesetz, trotzdem manche Wünsche unerfüllt geblieben seien. 
In der Beratung des Einführungsgesetzes erklärt Abg. Lieber (Z.), 
daß nach Auffassung seiner Freunde in Bezug auf Bayern res integra 
erhalten werde; sie seien ferner der Meinung, daß bei einer gesetzlichen 
Regelung dieser Angelegenheit eine Majorisierung Bayerns nicht stattfinden 
solle. Die Lösung dieser Frage im gegenwärtigen Augenblick wäre erwünscht 
gewesen, das Zentrum verzichte aber auf die Stellung von Anträgen, weil 
die noch nicht zum Abschluß gekommenen Verhandlungen nicht erschwert 
werden sollten. Wenn die bayerischen Mitglieder des Zentrums sich von 
der Mehrheit des Zentrums trennten, so geschehe dies, weil es nicht ge- 
lungen sei, die Wünsche der bayerischen Bevölkerung ausreichend zu erfüllen. 
Auch die Mehrheit des Zentrums gebe sich der sicheren Erwartung hin, 
daß die Gesetzgebung baldigst fortschreiten werde. Erst wenn der Schluß- 
stein in die Gesetzgebung eingefügt sei, werde dieses Gesetz ein Band sein, 
welches auch die Bayern an das Reich binde. Reichskanzler Fürst zu 
Hohenlohe-Schillingsfürst: Den Wunsch, welchen der Herr Vorredner 
zum Ausdruck gebracht hat bezüglich einer baldigen Verständigung mit der 
Königlich bayerischen Regierung über die Gestaltung der obersten militär- 
gerichtlichen Instanz, teile ich in der Richtung, daß ich einen günstigen 
Abschluß erhoffe und mir angelegen sein lasse. Derselbe wird sowohl die 
Rechtseinheit zu wahren, als auch eine ausreichende Berücksichtigung des 
bayerischen Standpunktes darzustellen haben. Ja, ich darf mit Befriedigung 
 
	        
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