Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 5.) 113
hervorheben, daß die seit meiner letzten Erklärung in diesem hohen Hause
stattgehabten Verhandlungen zwischen den Allerhöchsten Kontingentsherren
einen im Sinne der Verständigung wesentlich fortschreitenden Charakter
haben. (Lebhaftes Bravo!) Demnach hege ich keinen Zweifel, daß dieser
bei dem großen Gesetzgebungswerk zur gesonderten Behandlung noch aus-
geschiedene Punkt seine befriedigende Erledigung finden wird. (Bravo!)
Nachdem das Einführungsgesetz und das Disziplinargesetz für die
Militär-Justizbeamten angenommen worden ist, wird die Militär-Straf-
gerichtsordnung mit 177 gegen 83 Stimmen angenommen.
5. Mai. (Reichstag.) Interpellation über die hohen Ge-
treidepreise. Erklärung Thielmanns gegen die Aufhebung der Zölle
und über die allgemeine Teuerung.
Abg. Auer (Soz.) bringt folgende Interpellation ein: Beabsichtigen
die verbündeten Regierungen, angesichts der ungewöhnlich hohen Getreide-
preise eine zeitweilige Aufhebung der Getreidezölle herbeizuführen?
Staatssekretär des Reichs-Schatzamts Dr. Freiherr v. Thielmann:
Meine Herren! Auf die soeben vorgetragene Interpellation habe ich namens
des Herrn Reichskanzlers die Erklärung abzugeben: daß es nicht in seiner
Absicht liegt, eine Herabsetzung oder die Aufhebung der Getreidezölle bei
den verbündeten Regierungen in Anregung zu bringen. Bereits vor sieben
Jahren, im Frühjahr 1891, haben ähnliche Umstände zu den gleichen Er-
wägungen und zu den gleichen Schlußfolgerungen geführt. Im Winter
vorher war ein noch aus dem Jahre 1890 stammender Antrag des Abg.
Richter auf Ermäßigung und spätere gänzliche Beseitigung der Kornzölle
mit großer Mehrheit seitens des Reichstages abgelehnt worden, und die
Bewegung der Getreidepreise hat seitdem gezeigt, daß die ablehnende Mehr-
heit des hohen Hauses das Richtige getroffen hatte; denn schon ein Jahr
darauf bewies der jähe Niedergang der Preise, daß die Aufwärtsbewegung
des Jahres 1891 lediglich dem einmaligen Zusammentreffen von einer
Reihe von Umständen zuzuschreiben war und nicht einer dauernden Ver-
änderung in den Bedingungen des Getreidebaues. Mit noch größerem Recht
sind die gegenwärtigen hohen Preise einem Zusammentreffen vorüber-
gehender Umstände zuzuschreiben; denn es besteht ein gewichtiger Unterschied
zwischen den heutigen Verhältnissen und denen von 1891: damals wurde
infolge ungünstiger Ernten ein absoluter Mangel an Brotkorn für den
Weltverbrauch befürchtet, während jetzt die Besorgnisse im wesentlichen nur
die Möglichkeit einer rechtzeitigen Herbeischaffung des in Amerika vorhan-
denen Brotkorns betreffen. Das zeigt sich am deutlichsten darin, daß der
Weizen weit mehr gestiegen ist als der Roggen, der seinen hohen Stand
von 1891 jetzt nicht entfernt erreicht hat. Diese Befürchtungen wegen einer
Kriegssperre der amerikanischen Häfen sind aber übertrieben; denn wenn
auch — wozu nach den jüngsten Ereignissen keine Wahrscheinlichkeit vor-
liegt — die atlantischen Häfen der Vereinigten Staaten blockiert werden
sollten, so bleibt der Weg über Canada und den Lorenzstrom nach wie vor
offen, und auf ihm kann die nötige Menge Getreide unbehindert nach Europa
verschifft werden. In Rußland leiden Teile des Landes allerdings Mangel,
während nach den vorliegenden Berichten andere Landesteile noch reichliche
Reservevorräte besitzen; nichts deutet darauf hin, daß eine so schwere
Hungersnot wie die 1891 dort im Anzug sei, — und es steht übrigens
noch in frischer Erinnerung, wie überraschend schnell selbst jene große Not
des Jahres 1891 dort überwunden worden ist. Mit einer dauernden Be-
festigung der Getreidepreise auf dem jetzigen hohen Stande ist also ebenso-
Europäischer Geschichtskalender. Bd. XXXIX. 8