Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

114 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 5.) 
wenig zu rechnen, als dies im Jahre 1891 der Fall war; wegen einer 
vorübergehenden Erhöhung der Preise aber eine Ermäßigung oder gar die 
Aufhebung der Zölle ins Werk zu setzen, stände im geraden Widerspruch 
zu den Bestrebungen der verbündeten Regierungen wie großer Parteien 
in diesem hohen Hause, die auf eine Hebung und Befestigung der wirt- 
schaftlichen Lage der ackerbauenden Bevölkerung gerichtet sind. (Bravo!) 
Eine vorübergehende Aenderung in den Zollsätzen würde das Brot nicht 
wesentlich verbilligen (sehr richtig!), wohl aber im Hinblick auf die jetzt 
reifende Ernte den Ackerbauer schwer schädigen (sehr richtig!); den Gewinn 
hätte nur der Händler, und die beim Sinken der Preise nach Einbringung 
der neuen Ernte zu gewärtigende Wiedererhöhung der Zölle müßte einer 
der ungesundesten Spekulationen Thür und Thor öffnen. (Sehr richtig!) 
Wollten die verbündeten Regierungen bei jedem Hinaufschnellen der Preise 
der Landwirtschaft den Zollschutz entziehen, so ließe sich im entgegengesetzten, 
leider schon dagewesenen Falle, dem Eintreten abnorm niedriger Preise, 
die Forderung der Landwirtschaft nicht von der Hand weisen, daß nämlich 
alsdann die Regierung den Landwirten auch einen Mindestpreis garantieren 
müsse. (Sehr richtig!) Die niederen Preise der letzten Jahre hat unser 
Ackerbau getragen, und es wäre hart und ungerecht, wenn er sich nicht 
dafür auch der höheren erfreuen sollte, die auf dem gegenwärtigen Stande 
schwerlich lange anhalten werden. Der Preis des Roggens im besonderen 
ist überdies kein solcher, daß dem Teile des deutschen Volkes, der auf seiner 
Hände Arbeit angewiesen ist, und dessen Löhne seit dem Jahre 1891 wahr- 
lich nicht heruntergegangen sind, die Lebenshaltung unmöglich gemacht 
würde. (Sehr richtig!) Sie können überzeugt sein, meine Herren, daß die 
Beibehaltung unserer Getreidezölle niemanden im Reiche ernstlich schädigen 
wird, daß ihre Herabminderung oder Aufhebung aber Folgen für unsere 
Landwirtschaft nach sich ziehen müßte, deren Verantwortung der Herr Reichs- 
kanzler nicht geneigt ist, auf sich zu nehmen. (Lebhafter Beifall.) Schließ- 
lich will ich nicht unterlassen, noch ausdrücklich zu bemerken, daß diese Er- 
klärung sich selbstverständlich nur auf die Verhältnisse bezieht, die sich zur 
Zeit übersehen lassen. Sollten wesentliche Veränderungen eintreten, so 
werden die verbündeten Regierungen nicht verfehlen, in eine erneute Prü- 
fung der angeregten Frage einzutreten. Meine Herren, diesen Erklärungen 
möchte ich nur wenige Worte noch anfügen, zu denen die Ausführungen 
des Herrn Vorredners mir Anlaß geben. Ich kann nicht auf alle die 
Einzelheiten eingehen, Einzelheiten betreffs der Preisbildung und dergleichen, 
welche der Herr Vorredner angeführt hat. Ich möchte nur das eine be- 
streiten, daß das gegenwärtige Hinaufschnellen der Preise einem absoluten 
Mangel an zum Verkauf brauchbarem Brotkorn zuzuschreiben ist, wie der 
Herr Abg. Schippel gesagt hat. In Amerika, meine Herren, sind nach 
den Berichten vom 27. April, also jetzt eine Woche alt, 35 Millionen 
Bushels Weizen, sogenannter visible supply, verkaufsbereit in den großen 
Getreidespeichern östlich der Felsengebirge. 35 Millionen Bushels sind 
ziemlich genau 1 Million Tonnen, und diese 1 Million Tonnen stellt nicht 
etwa den ganzen Vorrat des Landes dar, sondern nur den Teil des Vor- 
rats, der zum Verkauf offen liegt und jeden Augenblick gekauft werden 
kann, falls Käufer und Verkäufer sich über die Preise einigen. Außer 
diesen 35 Millionen Bushels sind zu rechnen die Bestände, welche bereits 
bei den Mühlenlagern, und die Bestände, welche etwa noch bei den Pro- 
duzenten vorhanden sind. Ferner stehen außerhalb dieser 35 Millionen 
Bushels die Bestände westlich der Felsengebirge, also in Kalifornien haupt- 
sächlich, und endlich auch die in Canada. So läßt sich also, da die Ernte 
in einem großen Teile der Vereinigten Staaten bereits in zwei Monaten
	        
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