116 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 6.)
Flottengesetzes für unsere wirtschaftliche Entwickelung und für die Stär-
kung unserer maritimen Wehrkraft anerkannte, hat er die Hand zu einem
Werke geboten, welches die dankbare Würdigung kommender Geschlechter
finden wird. Die Finanzlage des Reichs hat in der verflossenen Legislatur-
periode, dem Aufschwung der wirtschaftlichen Verhältnisse entsprechend, eine
besonders günstige Entwickelung genommen. Das Verhältnis der Einzel-
staaten zum Reiche hat zwar die von den verbündeten Regierungen ange-
strebte organische Regelung bisher nicht gefunden, wohl aber ist es mit
einer auf die Reichsstempelabgaben beschränkt gebliebenen Steuererhöhung
gelungen, die Matrikularbeiträge für die letzten Jahre thatsächlich in den
Grenzen der den Einzelstaaten zu gute kommenden Steuerüberweisungen
zu halten. Daneben sind noch zur Tilgung der Reichsschuld belangreiche
Beträge aus Ueberschüssen bereit gestellt. Auf dem Gebiete des Post- und
Telegraphenwesens ist durch Ihre Zustimmung zu den neuen Washingtoner
Weltpostverträgen eine Reihe wesentlicher Erleichterungen für den inter-
nationalen und den inneren Verkehr gesichert, ferner durch die Bewilligung
erheblicher Mehrmittel eine namhafte Verbesserung der Telegraphen- und
Fernsprechanlagen, mit besonderer Berücksichtigung der kleineren Orte und
des flachen Landes ermöglicht worden. Die wirtschaftliche und soziale
Gesetzgebung verdankt Ihrer eifrigen Mitarbeit eine Reihe wichtiger Er-
gebnisse. Insbesondere ist, wie Ich hoffe, durch das Gesetz über die Orga-
nisation des Handwerks der Boden geschaffen, auf dem dieser ehrenwerte
Stand durch kräftigeren Zusammenschluß seiner Glieder und durch geord-
nete Vertretung seiner Gesamtinteressen neue Kraft gewinnen wird, den
wachsenden Schwierigkeiten des großgewerblichen Wettbewerbes stand zu
halten. Durch die Bewilligung erhöhter Beihilfen für die Postdampfer-
verbindung mit Ost-Asien trugen Sie dazu bei, unsere Verkehrsbeziehungen
mit Ländern, die für den Absatz unserer Erzeugnisse eine steigende Bedeu-
tung erlangt haben, enger zu knüpfen und damit unsere handelspolitische
Stellung daselbst zu befestigen. Der friedliebende Charakter Meiner aus-
wärtigen Politik, welcher jede Beeinträchtigung fremder Rechte fern liegt,
die aber für den Schutz bedrohter deutscher Interessen stets mit Nachdruck
eintreten wird, findet seinen Ausdruck in dem guten Verhältnis, das zu
Meiner Genugthuung zwischen dem Deutschen Reich und allen Mächten
besteht. Gegenüber dem zwischen Spanien und den Vereinigten Staaten
von Amerika ausgebrochenen Kriegszustande betrachte Ich es als die Auf-
gabe Meiner Regierung, einerseits nach beiden Seiten hin den Pflichten
unserer neutralen Stellung voll zu entsprechen, andererseits darauf hinzu-
wirken, daß die deutsche Schiffahrt und der deutsche Handel vor Behelligung
und Schädigung nach Möglichkeit bewahrt werden. Die Aktion, zu welcher
Ich Mich genötigt sah, einen Teil Meiner Kriegsflotte nach Kiautschou zu
entsenden, um für das vergossene Blut deutscher Missionare gerechte Sühne
zu heischen, hat Mich in den Stand gesetzt, den lang gehegten und wohl-
berechtigten Wunsch nach einem kommerziell entwickelungsfähigen und mili-
tärisch gesicherten Stützpunkt in Ost-Asien im Wege freundschaftlicher Ver-
ständigung mit China und ohne Trübung unserer Beziehungen zu anderen
Staaten zur Erfüllung zu bringen. Im Anschluß an den griechisch-türkischen
Friedensvertrag ist es den Bemühungen Meiner Regierung gelungen, in
Griechenland eine Regelung des Finanzwesens herbeizuführen, welche die
Rechte der deutschen wie aller sonstigen Gläubiger in dem unter den ge-
gebenen Verhältnissen erreichbaren Maße sicher gestellt hat. In Gemein-
schaft mit Meinen hohen Verbündeten wird es auch ferner Mein ernstliches
Bestreben sein, die wirtschaftliche Entwickelung des Reichs zu fördern, ins-
besondere den Druck, unter welchem die Landwirtschaft die Erfolge ihrer