Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 2.) 129
kein Verständnis haben. So für das Aufgeben des Obersten Militär-
gerichtshofes. Selbst wenn andere Voraussetzungen gegeben wären, wie dies
jetzt der Fall ist, müßte die Volksvertretung sehr überlegen, ob sie der Hin-
gabe eines so wichtigen Sonderrechtes zustimmen könnte. Es ist erwünscht,
wenn von unserer Seite dieses Recht nicht ausgegeben wird. Abg. Daller
(Z.): Ich konstatiere hier nochmals öffentlich, daß das hohe Haus seiner-
zeit einstimmig auf das entschiedenste sich ausgesprochen hat einmal für
bestimmte Grundsätze in Bezug auf die Militärstrafprozeßordnung und
zweitens in Bezug auf das Reservatrecht auf den Obersten Gerichtshof.
Dieses Recht ist klar und deutlich ausgesprochen. Wir halten unbedingt
daran fest und stehen in dieser Beziehung hinter der Regierung, und ich
hoffe, daß diese Regierung den festen Rechtsstandpunkt einhält. Bei den
Unterhandlungen kann nichts herauskommen. Für uns bedeutet das neue
Gesetz nur einen Kulturrückschritt. In Preußen war die alte Gesetzgebung
so antediluvianisch, daß sie allerdings einen Fortschritt gemacht haben.
Unsere politischen Freunde in Preußen mußten also schon deswegen zu-
stimmen.
Abg. Casselmann (nl.): Alle retrospektiven Betrachtungen, ob
das neue Gesetz gut ist oder nicht, sind wenig praktischer Natur. Das neue
Gesetz entspricht allerdings nicht ganz den Prinzipien unseres alten bayeri-
schen Militärprozesses. Die Grundprinzipien sind im neuen Verfahren aber
enthalten: Oeffentlichkeit, Mündlichkeit des Verfahrens etc. Die stärkere
Heranziehung von Militärjuristen ist allerdings ein Rückschritt. Das neue
Gesetz bringt aber auch Vorteile, so die Berufung und die Festsetzung von
Normen, die sofort auch für das Feld anwendbar sind. Daß die Sozial-
demokraten nicht mit dem neuen Gesetz zufrieden sind, ist selbstverständlich,
sie würden auch mit einem besseren nicht zufrieden sein, da ihnen die Ver-
hältnisse im Reiche überhaupt nicht passen, sie sind Feinde des Reiches.
Die Reichsmilitärgerichtsordnung ist nun zum Gesetz geworden, übrig geblieben
ist nur die Frage des Obersten Gerichtshofes. Ich stehe nach wie vor auf dem
Standpunkte, daß Bayern ein Reservatrecht auf einen solchen Gerichtshof hat.
Aber die Nachteile sind in Anbetracht der einheitlichen Militärstrafprozeß-
ordnung nicht so groß, wenn wir den Obersten Gerichtshof aufgeben. Finis
Bavariae würde noch nicht eintreten. Ein solcher Gerichtshof ist doch
bloß lediglich Revisionsgerichtshof. Dem Reiche gegenüber, staatsrechtlich,
haben die Einzellandtage kein Recht, es zu hindern, wenn ein Reservatrecht
aufgegeben werden soll. Politisch aber würde ich es geradezu für unmöglich
halten, daß wenn es sich um Aufgabe eines solchen Reservatrechtes handelt,
die Staatsregierung ohne Einvernehmen mit dem Landtage handeln würde.
An dem Reservatrechte soll also festgehalten werden, jedoch nicht, wie ge-
sagt, weil ich die Befürchtung hätte, daß wir mit der Aufgabe dieses Rechtes
unsere Selbständigkeit aufgeben, sondern weil wir keine übertriebenen Be-
fürchtungen betreffs der Nachteile bei der Aufgabe zu haben brauchen.
Kriegsminister v. Asch: Nach den langen Auseinandersetzungen über die Re-
form der Militärstrafprozeßordnung, die hier von Angehörigen aller Par-
teien stattgefunden haben, können Sie nicht von mir erwarten, daß ich mich
lange darüber auslassen werde. Der neue Militärstrafprozeß ist von den
gesetzgebenden Faktoren festgelegt worden und damit stehen wir vor einer
vollendeten Thatsache. Offengelassen ist noch die Frage der Regelung des
Obersten Militärgerichtshofes. Es ist Ihnen bekannt, daß über diese
Frage Meinungsverschiedenheiten bestehen. Wenn diese Meinungs-
verschiedenheiten beglichen werden sollen, müssen Verhandlungen darüber
stattfinden. Das ist das Stadium, in dem diese Sache gegenwärtig
steht. Um also für die in Aussicht genommene gesetzliche Regelung dieser
Europäischer Geschichtskalender. Bd. XXXIX. 9