130 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 4. 7.)
Frage eine Basis zu gewinnen, stehen die Souveräne der beiden Regier-
ungen gegenseitig in Unterhandlung. Ich möchte sehr befürchten, daß die
Art der heutigen Besprechungen vielleicht die Gegensätze verschärfen wird,
statt eine Annäherung in dieser Frage herbeizuführen. (Münch. N. Nachr.)
4. Juni. (Preußen.) Der „Reichs-Anzeiger“ veröffentlicht
den Auszug eines Berichtes des Finanzministers v. Miquel an den
Kaiser über die Finanzverwaltung Preußens vom 1. Juli 1890
bis 1. April 1897. Der Schluß lautet:
Ein Rückblick auf das Vorgesagte läßt einmal die prozentual stei-
gende Tendenz des staatlichen Ausgabebedarfs während der Berichtsperiode,
daneben die Erleichterung des Steuerdrucks der Bevölkerung infolge ge-
rechterer Lastenverteilung bei mäßiger Verminderung des Gesamtsteuer-
aufkommens, endlich und trotz dieser Voraussetzungen die fortwährende
Besserung der rechnungmäßigen Ergebnisse des Staatshaushalts, sowie der
finanziellen Gesamtlage des Staates von Jahr zu Jahr hervortreten. Zu-
gleich gibt der Bericht aber auch zu erkennen, wie verkehrt es wäre, die
gegenwärtige günstige Finanzlage, welche zu erreichen die konsequenteste
Durchführung der nach den ungünstigen Erfahrungen früherer Jahre für
richtig erkannten Grundsätze im großen wie im kleinen erforderte, nunmehr
zum Anlaß zu nehmen, um den dauernden Ausgabebedarf des Staatshaus-
halts ins Ungemessene zu steigern oder wichtige Einnahmequellen des Staats
ohne genügende anderweitige Deckung preiszugeben. Die stark steigende
Tendenz des Ausgabebedarfs auf allen Gebieten der Staatsverwaltung
einerseits, der Umstand, daß der preußische Etat hauptsächlich auf die Ein-
nahmen aus seinen Betriebsverwaltungen, vor allem auf die mit erheb-
lichen Schwankungen verbundenen Eisenbahnüberschüsse basiert ist, ander-
seits endlich der so große Unsicherheit in den preußischen Etat bringende
Faktor des Reichsfinanzwesens müssen, was im Volke noch vielfach nicht
genügend gewürdigt wird, eine pflichtbewußte Finanzverwaltung immer von
neuem auf vorsichtige und pflegliche Behandlung der Ausgaben wie der
Einnahmen hinweisen. Eine kritiklose Befriedigung aller der Wünsche,
welche von den verschiedensten Seiten fortgesetzt an die entscheidenden Fak-
toren herantreten, würde denselben zwar gegenwärtig größere Zustimmung
zuzusichern im stande sein, sie aber dem Vorwurfe künftiger Generationen
aussetzen, daß sie aus den Erfahrungen früherer Jahre nichts zu lernen
verstanden haben. Ob nicht die äußerste Grenze, bis zu welcher die Stei-
gerung der Ausgaben auf der Grundlage der dauernd zu erwartenden Ein-
nahmen berechtigt ist, infolge der nachgewiesenen Vermehrung der dauernden
Ausgaben bereits erreicht, vielleicht schon überschritten ist, wird die Zukunft
lehren. Diese Grenze wird aber gewiß bald überschritten sein, wenn die
wachsende Neigung, alles vom Staat zu verlangen, und das Drängen der
Interessentenkreise auf allen Gebieten zu steigenden Aufwendungen oder zur
Verminderung der Staatseinnahmen nicht den nötigen Widerstand an den-
jenigen Elementen finden, welche die dauernde Kraft des Staats zur Er-
füllung seiner wachsenden kulturellen Aufgaben fest im Auge behalten.
7. Juni. (Berlin.) Die „Berliner Neuesten Nachr."
veröffentlichen folgendes Schreiben des Staatssekretärs Grafen
Posadowsky an einen hervorragenden Politiker, der sich bei ihm
über das bei den Wahlen zu beobachtende taktische Verhalten Rat
geholt hatte: