134 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 16.)
16. Juni. (Berlin.) Der Kaiser hält folgende Ansprache
an die Mitglieder der Königlichen Schauspiele in Berlin:
Ich habe Sie gebeten, sich hier einzufinden, weil Ich wünschte, daß
Sie an dem heutigen Feste teilnehmen sollten, wie alle andern, die heute
zu Mir gekommen sind und mit Mir feiern. Als Ich vor zehn Jahren
zur Regierung kam, da trat Ich aus der Schule des Idealismus, in welchem
Mich Mein Vater erzogen hatte. Ich war der Ansicht, daß das königliche
Theater vor allen Dingen dazu berufen sei, den Idealismus in unserem
Volke zu pflegen, an welchem es. Gott sei Dank! noch so reich ist, und
dessen warme Wellen noch in seinem Herzen reichlich quellen. Ich war der
Ueberzeugung und hatte Mir fest vorgenommen, daß das königliche Theater
ein Werkzeug des Monarchen sein sollte, gleich der Schule und der Uni-
versität, welche die Aufgabe haben, das heranwachsende Geschlecht heranzu-
bilden und vorzubereiten zur Arbeit für die Erhaltung der höchsten geistigen
Güter unseres herrlichen deutschen Vaterlandes. Ebenso soll das Theater
beitragen zur Bildung des Geistes und des Charakters und zur Veredelung
der sittlichen Anschauungen. Das Theater ist auch eine Meiner Waffen.
Es liegt Mir am Herzen, Ihnen allen Meinen innigsten, herzlichsten, tief-
gefühltesten königlichen Dank für die Bereitwilligkeit, mit der Sie sich dieser
Aufgabe unterzogen haben, auszusprechen. Den hohen Erwartungen, die
Ich von dem Personal Meiner Oper und Meines Schauspiels gehegt habe,
haben Sie vollständig entsprochen. Es ist die Pflicht eines Monarchen, sich
um das Theater zu kümmern, wie Ich es an den Beispielen Meines hoch-
seligen Vaters und Großvaters gesehen habe, eben weil es eine ungeheuere
Macht in seiner Hand sein kann, und Ich danke Ihnen, daß Sie unsere
herrliche schöne Sprache, daß Sie die Schöpfungen unserer Geistesheroen
und derjenigen anderer Nationen in so hervorragender Weise zu pflegen
und zu interpretieren verstanden haben. Ich danke Ihnen ferner, daß Sie
auf alle Meine Anregungen und Wünsche eingegangen sind. Ich kann es
mit Freude sagen, daß alle Länder mit Aufmerksamkeit die königlichen
Theater in ihrer Thätigkeit verfolgen und mit Bewunderung auf Ihre
Leistungen blicken. Ich habe die feste Ueberzeugung, daß die Mühe und
Arbeit, die Sie auf Ihre Darstellungen verwendet, nicht vergeblich gewesen
sind. Ich bitte Sie nun, daß Sie Mir fernerhin beistehen, jeder in seiner
Weise und an seiner Stelle, im festen Gottvertrauen dem Geiste des Idealis-
mus zu dienen und den Kampf gegen den Materialismus und das un-
deutsche Wesen fortzuführen, dem schon leider manche deutsche Bühne ver-
fallen ist. Und so wollen Sie in diesem Kampfe fest bestehen und in treuem
Streben ausharren. Halten Sie sich versichert, daß Ich jederzeit Ihre
Leistungen im Auge behalten werde, und daß Sie Meines Dankes, Meiner
Fürsorge und Meiner Anerkennung gewiß sein können.
16. Juni. (Potsdam.) Der Kaiser hält folgende Ansprache
an die Leibregimenter:
Die wichtigste Erbschaft, welche Mir Mein Erlauchter Großvater
und Vater hinterlassen haben, die Ich mit Stolz und Freude angetreten
habe, das ist die Armee. An sie habe Ich Meinen ersten Erlaß gerichtet,
als Ich den Thron bestieg, an sie richte Ich jetzt beim Eintritt in das
nächste Jahrzehnt aufs neue Meine Worte: Ihr, die Ihr jetzt versammelt
seid, das Erste Garde-Regiment zu Fuß, in dem ich aufgewachsen bin, das
Regiment der Gardes du Corps als das vornehmste Leib-Regiment der
Kavallerie der preußischen Könige, das Leib-Garde-Husaren-Regiment, das
Ich selbst kommandiert habe, und das Lehr-Infanterie-Bataillon, welches