Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juli.) 141 
Juli. Frage der Erbfolge in Lippe-Detmold. Differenz 
zwischen dem Regenten und dem Kaiser. Kaiserliches Telegramm. 
Bemerkungen der Presse. Erklärung der Detmolder Regierung. 
Die „Neue Bayer. Landesztg.“ in Würzburg veröffentlicht folgenden 
Artikel (19. Juli) mit der Ueberschrift „Wir sind keine Vasallen“: „Nach 
dem Tode des ohne direkte Erben verstorbenen Fürsten von Lippe suchte 
der Kaiser einen seiner Verwandten in die Erbfolge zu bringen, und dieser 
hatte auch ohne weiteres die Regentschaft übernommen. Aber der nächste 
Verwandte des Verstorbenen, der aus dem Fürstenhause stammende Graf 
zur Lippe-Biesterfeld, machte seine Ansprüche geltend, und der als Schieds- 
richter eingesetzte König Albert von Sachsen entschied, daß der Verwandte 
des Kaisers den Thron zu räumen und an seiner Stelle der Graf zur Lippe 
die Regentschaft zu übernehmen habe. Der Kaiser war über diese Entscheidung 
so aufgebracht, daß er ein Telegramm an seinen abgehenden Vetter richtete, 
in welchem er die Einwohner des Fürstentums gleichsam bedauerte, daß sie 
einen so ausgezeichneten Regenten verlieren müßten. Der neue Regent ist 
ein alter, vornehmer Herr, der in seinem Aeußeren dem Prinz-Regenten 
von Bayern gleich sieht, aber nicht mehr so mobil ist, wie jener, denn seine 
Beine sind gelähmt, und er muß sich deshalb immer eines Wagens bedienen. 
Wir erwähnen dies, damit die Leser unsere Beurteilung des kaiserlichen 
Telegrammes noch besser zu würdigen vermögen, als wenn sie lediglich bloß 
den Inhalt desselben kennen würden. Auf Grund der zwischen Preußen 
und dem Fürstentum Lippe abgeschlossenen Militär-Konvention hat der 
Regent eine Reihe von Rechten, und er verordnete nun, daß seine Söhne 
und Töchter von den Offizieren der Garnison zu grüßen und mit dem 
Titel „Erlaucht“ anzureden seien. Diesem Befehl des Regenten wurde aber 
keine Folge gegeben, weswegen derselbe den General zu sich beschied und 
ihm Vorhalt machte. Dieser gab zu verstehen, daß er seine Befehle vom 
obersten Kriegsherrn in Berlin und nicht vom Landesfürsten zu empfangen 
habe. Der alte Fürst wandte sich nun in einem Schreiben, wie es selbst 
ein gewöhnlicher Unterthan kaum unterthäniger und höflicher schreiben 
könnte, an den Kaiser und bat ihn unter Berufung auf seine verbrieften 
Rechte, dem Befehl des Regenten Achtung zu verschaffen. Dieser ging 
dabei auch von der Meinung aus, daß es nicht zur Stärkung der Autorität 
und des monarchischen Prinzipes beitrage, wenn das Volk sähe, wie ein 
General den Befehl des Landesfürsten einfach unbeachtet lasse, und wie 
dadurch selbst Offiziere und Soldaten zur Auflehnung gegen die Autorität 
veranlaßt werden. Diese Meinung sprach der Regent nicht einmal aus, 
sondern ließ sie nur in der leisesten Weise durchblicken. Der alte Herr 
durfte wohl einen vornehmen Bescheid erwarten, aber er war um so mehr 
betroffen, als er am andern Tage folgendes Telegramm erhielt: 
An den Regenten von Lippe in Detmold. 
Mein General hatte Befehl. Dem Regenten, was dem Regenten 
gehört, sonst weiter nichts. Im übrigen verbitte ich mir den Ton, den 
Sie sich in Ihrem Briefe erlauben. 
Wilhelm, I. R. 
Der Regent teilte nun diese zwischen ihm und dem Kaiser gepflogene 
Korrespondenz den übrigen Bundesfürsten mit und gab ihnen in seiner 
Denkschrift zu bedenken, welche Folgerungen aus dieser ihm zu teil ge- 
wordenen Behandlung auch für die anderen Bundesfürsten gezogen werden 
können.“ 
Diese Mitteilungen erregen großes Aufsehen. Viele Blätter erklären 
sie für erfunden. So schreibt die „Post“: Die Antwort, welche Se. Maj. 
 
	        
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