Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Ende Juli.) 143
heit beschwerdeführend an den Bundesrat gebracht habe, von diesem aber
abgewiesen worden sei. Diese Nachricht beruht auf Erfindung. Der Graf-
Regent von Lippe hat allerdings seine „Bitte und Vorstellung“ an den
Kaiser, sowie dessen abschlägigen Bescheid den deutschen Fürsten unterbreitet,
es ist aber weder ihm noch der lippischen Regierung jemals eingefallen,
die Angelegenheit an den Bundesrat zu bringen. Wenn verschiedene Blätter
annehmen, daß das Schreiben des Graf-Regenten an Se. Majestät den Kaiser
in der Form verfehlt und verletzend gewesen sei und daß also scharfe Ant-
wort auf harte Rede erfolgt sei, so befinden sie sich in einem Irrtum. Der
Graf-Regent hat sich mit dem Ausdrucke „unwandelbarsten Respektes“ an
den Kaiser gewandt, Se. Majestät der Kaiser möge Allergnädigst geruhen,
ihm huldvollst Gehör zu schenken und ihm seinen mächtigen Schutz und
Beistand zu gewähren. Wenn einmal der ganze Schriftwechsel veröffentlicht
werden sollte, dürfte allgemein zugegeben werden, daß die harte Art der
Abweisung der Wünsche des Graf-Regenten, wie sie in dem keiserlichen
Telegramm erfolgt ist, in dem Schreiben des Graf-Regenten an Se. Majestät
den Kaiser nicht begründet war.
Der Wortlaut des kaiserlichen Telegramms ist nach den „Leipz.
Neuesten Nachrichten“ folgender:
Berlin Schloß, 17. Juni 1898.
Ihren Brief erhalten, Anordnungen des kommandierenden Generals
geschehen mit Meinem Einverständnisse nach vorheriger Anfrage. Dem
Regenten, was dem Regenten zukommt, weiter nichts. Im Uebrigen will
Ich Mir den Ton, in welchem Sie an Mich zu schreiben für gut be-
funden haben, ein für allemal verbeten haben. W. R.
Ende Juli. Nachrichten über das Befinden des Fürsten
Bismanrck.
Der „Berl. Lokal-Anz.“ verbreitet folgende Nachrichten (27. Juli):
Friedrichsruh, 26. Juli, 9 Uhr 33 Minuten abends. Die Grafen
Herbert und Wilhelm Bismarck mit ihren Gemahlinnen sind hier ein-
getroffen. Das Befinden des Fürsten Bismarck ist schlecht; er hat seit drei
Tagen das Bett nicht mehr verlassen und verbringt stets schlaflose Nächte.
Essen, Trinken und Rauchen sagt ihm nicht mehr zu. Geh. Rat Schweninger
weilt seit einigen Tagen hier.
Friedrichsruh, 26. Juli, 11 Uhr 47 Minuten nachts. Der Zustand
des Fürsten Bismarck hat sich verschlimmert; der Körper schwillt an.
Am 29. Juli schreibt die „Tägl. Rundschau“: Wie wir aus Fried-
richsruh erfahren, hat Fürst Bismarck gestern abend an der Familientafel
teilgenommen. Geheimrat Schweninger ist gestern abend aus Friedrichsruh
abgereist.
Ende Juli. Wirtschaftliche Schwierigkeiten zwischen Deutsch-
land und Rußland.
Um die Gefahr des Einschleppens von Geflügelkrankheiten zu ver-
meiden, hatte die deutsche Regierung verboten, daß russische Gänse zu Fuß
über die Grenze getrieben würden, wogegen Rußland protestiert. Die
Einigung erfolgt dann dahin, daß Rußland auf das Eintreiben der Gänse
auf der ganzen Grenzlinie verzichtet, wogegen Deutschland die Gänseeinfuhr
im Fußmarsch an zwei Dutzend genau bestimmten Punkten bis zur nächsten
Eisenbahnstation gestattet.
30. Juli. (Friedrichsruh.) 11 Uhr abends. Tod des
Fürsten Bismarck.